rot-grün, sprachkritik etc.: Chaos stiften: Die semantischen Kampagnen der Opposition
Gottgewollte Ordnung
Langsam dämmert es vielen, was wirklich neu ist nach der Wahl vom 22. September. Nicht, dass einige der Wählerinnen und Wähler mehr zu bezahlen haben, als ihnen vor der Wahl angekündigt wurde. Das hat es schon oft gegeben, aus mehr oder weniger einleuchtenden Gründen.
Neu ist, dass erstmals seit 1949 die Legalität der frei und korrekt gewählten Regierung bezweifelt wird, dass der Wahlkampf, ohne eine Sekunde Pause, vergröbert und mit Hilfe publizistischer Hilfstruppen fortgesetzt wird mit dem Ziel, die Regierung so zu verwirren, dass sie gar nicht zum Regieren kommt.
Solche Kampagnen haben immer auch ihre semantische Seite. Semantische Tricks haben den Vorteil, dass sie übernommen werden von arglosen Journalisten und Kommentatoren, denen die Kampagne eigentlich zuwider ist.
Wurden Helmut Kohl und seine Regierung kritisiert, so war immer von der Bundesregierung die Rede. Heute lesen wir „Rot-Grün erhöht die Steuern!“, „Rot-Grün verprellt die Amerikaner!“, „Rot-Grün verwechselt die Füchse!“. Nicht die Bundesregierung steht im Feuer, sondern eine Parteienkoalition. Niemand wäre zu Kohls Zeiten auf die Idee gekommen, von „Schwarz-Gelb“ zu reden, wenn er die Regierung meinte. Allenfalls sprach und schrieb man von der Regierung Kohl/Genscher. Wo drischt heute jemand auf die Regierung Schröder/Fischer ein? Nein, es geht um „Rot-Grün“, um zwei Parteien, die sich an die Regierung gemogelt haben, die jetzt da sind, wo sie nicht hingehören. Und es bleibt dem Leser überlassen, die gottgewollte Ordnung der Dinge wieder herzustellen, also dafür zu sorgen, dass die Richtigen, die Staatspartei wieder Regierung wird.
Daher darf „Rot-Grün“ nicht mit dem Begriff der Regierung verbunden werden, sondern mit dem des Chaos. Das ist das Gegenteil von Regierung. Chaos ist etwas, was beseitigt werden muss, und zwar mit allen Mitteln. Eines der vielen Mittel ist die Semantik. Es ist nicht sofort erkennbar und daher umso wirksamer. ERHARD EPPLER
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