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rohschnittFalscher Titel

Es ist eine leidige Geschichte. Da soll Rudolf Augstein, Herausgeber des Spiegel, auf Betreiben von Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), den Ludwig-Börne-Preis erhalten. Und zwar weil, so Laudator Schirrmacher, seine „argumentative Kraft, sein ebenso polemisches wie politisches Testament, sein publizistischer Rang und Einfluss“ Augstein zu einem würdigen Preisträger machten.

Augstein aber kam nicht zur Preisverleihung in die Paulskirche und ließ sich wie ein Schuljunge wegen angeblicher Krankheit entschuldigen. Die diesjährige Verleihung steht also noch aus, zu hoch schlugen wohl die Wogen wegen der Altnazis, die der Spiegel lange in seinen Reihen beherbergte.

Der Düsseldorfer Journalist und Historiker Hersch Fischler macht aber noch ganz andere Gründe geltend, aus denen eine Verleihung des Preises an ausgerechnet Augstein geschmacklos wäre: 1959 hatte Augstein im Spiegel eine Enthüllungsserie veröffentlicht, nach der der holländische Anarchist Marinus van der Lubbe im Alleingang den Reichstag angezündet haben soll – nicht nur nach heutigen Erkenntnissen eine Geschichtsfälschung, mit der eine mögliche Beteiligung der Nazis an dem Verbechen ausgeschlossen wurde. Beteiligt war damals auch Hans Mommsen vom Institut für Zeitgeschichte in München, der der „Enthüllungsserie“ mit einem dubiosen Gutachten wissenschaftliche Weihen verlieh.

Im Lichte neuerer Forschung ist die These von der Alleintäterschaft des Holländers nicht mehr zu halten und bedarf der Revision. Mit der Bitte um Kenntnis- und Stellungnahme schrieb Fischler u. a. an die Ludwig-Börne-Stiftung und Frank Schirrmacher, erhielt aber keine Antwort.

Hinter den Kulissen aber brodelt es gewaltig: So soll sich Rudolf Augstein, der sich inzwischen mit Hinweisen auf seine „jüdische Leitkultur“ aus der Affäre zu ziehen versuchte, sogar einen Spiegel-Titel zum Thema gewünscht haben. Den bekam er dann auch zu sehen – allerdings war es nur ein Fake, um „den Alten“ zu besänftigen. Gedruckt wurde schließlich eine andere Titelgeschichte. Für den Spiegel bleibt van der Lubbe also „Einzelgänger“ und „Brandleger“ (zuletzt in der Ausgabe vom 10. 1. 2000). Und Spiegel-Leser wissen wieder einmal mehr. ARNO FRANK

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