robin alexander über Schicksal : Zurück in die Häschenschule
Oje! Putzige Häschen-, Bärchen-, Mäuschen-, Fleißkärtchen erleben eine Renaissance an deutschen Schulen
An dieser Stelle wurde unlängst über das Kinderbelobigungsinstrument „Bienchen“ aus der DDR geschrieben, das heute eine kleine Renaissance erlebt. Das warf Fragen auf – über den untergegangenen Arbeiter-und-Bienchen-Staat hinaus. Wie belohnt denn die BRD ihre zukünftigen Bürger in der Schule? Was ist das Bienchen des Kapitalismus?
„Zu meiner Schulzeit gab es für artige Mädchen und fleißige Buben noch Kirchenbildchen mit echten Heiligen drauf“, erinnert sich eine Freundin, die sowohl Lehrerin als auch Zeitungsleserin ist und trotzdem noch mit Journalisten spricht. Ihre Kindheit fiel bedauerlicherweise in die Fünfzigerjahre und einen katholischen Landstrich. Das Wort Heiligenbildchen mag in den Ohren mit katholischer Mystik Unvertrauter harmlos klingen. Geradezu langweilig. Welch ein Irrtum! Der Heilige Onuphrius, der stets unbekleidet und stark behaart abgebildet wird, ist für Heranwachsende interessant, die irritiert beginnen, Veränderungen an ihren Knabenkörpern wahrzunehmen. Der Märtyrer Bartholomäus wird stets mit abgezogener Haut dargestellt. Auch das lehrt Körperbewusstsein. Pubertierende, die sich von ihren Eltern unverstanden fühlen, warnt St. Notburga von Hochhausen. Sie wird traditionell mit nur einem Arm abgebildet, der andere ist ihr infolge eines Konflikts mit dem Erziehungsberechtigten ausgerissen worden. Meist haben die Lehrer allerdings nur harmlose Schutzpatrone verteilt, erinnert sich unsere Schulexpertin mit Bedauern an die Bekenntnisschule.
Bekanntlich haben ja die Achtundsechziger den Nazinachfolgerstaat BRD quasi über Nacht in eine tolle Zivilgesellschaft verwandelt, in der nicht mehr Fleiß und Pünktlichkeit angesagt sind, sondern Selbstverwirklichung höchstes Erziehungsziel ist. Spätestens mit neuen Methoden wie Freiarbeit und selbstständiger Lernerfolgskontrolle verschwanden auch die altbackenen Motivationshilfen. „Wir haben einfach gesagt: Wer fünf Wochenpläne selbstständig erfüllt, muss einmal keine Hausaufgaben machen“, berichtet unsere Langzeitagentin im Schuldienst vom pädagogischen Aufbruch. Dieser Anreiz habe den Schülern aber nicht gereicht.
Heute müssen die Lehrer ganz auf sich gestellt kleine Motivationshilfen entwickeln. Ein halbwüchsiger Informant meines Vertrauens berichtet, in seiner Klasse habe jeder Schüler ein Passbild abgegeben, das dann auf einer Tafel befestigt wurde. Wer sich gut benimmt, rückt ins obere Viertel der Tafel, die ein Schild als „Club der Netten“ ausweist. Wer durch Unfug auffällt oder Hausaufgaben vergisst, verliert die Clubmitgliedschaft und sinkt auf der Tafel tiefer. Nicht jeder Lehrer ist so individuell kreativ wie der Clubgründer. Längst gibt es Trends im Grundschulmilieu. So stempeln esoterisch orientierte Lehrerinnen Mandalas unter gute Klassenarbeiten. Diese sollen von den Schülern dann individuell ausgemalt werden – ein erster Schritt in die Meditation. Begabte Kollegen machen sich hingegen Mühe und zeichnen Igelchen oder Vögelchen unter gute Arbeiten. Drängt die Zeit beim Korrigieren, reicht es allerdings oft nur zu einem Smiley-Gesicht. Längst hat die Lehrmittelindustrie die Marktlücke erkannt und bietet Stempel mit lachenden Gesichtern an.
Einen neuen Trend hat die mir bekannte Lehrerin, die nach ein paar Jahrzehnten Schule eigentlich nichts mehr schockt, mit Entsetzen ausgemacht: Die Fleißkärtchen kehren zurück! Die Königin der Fleißkärtchen ist die 1992 in hohem Alter verstorbene Ida Bohatter. Keiner kennt den Namen, jeder kennt die Bilder: Engel, Zwerge, Wichtel, Bären, Häschen, Mäuschen und andere Tiere mit menschlichen Zügen tummeln sich in einer heilen Welt, deren Possierlichkeit offenbar zeitlos ist. Bohatters erfolgreiche Kinderbücher „Die Häschenschule“ oder „Mäuschensorgen“ stammen aus den Dreißigern. Seitdem sind Fleißkärtchen mit Bohatter-Motiven an deutschen Schulen nie ausgestorben und jetzt wieder in Mode: Im Internet gibt es 500 Stück für 50 Euro.
Wenn die Schule tatsächlich ein Abbild der Gesellschaft ist, findet sich Deutschland nach Verirrungen gerade selbst. Ein Land, in dem Streber mit ihren Großeltern Fleißkärtchen tauschen können.
Bohatter-Häschen oder DDR-Bienchen? kolumne@taz.de