piwik no script img

rentenAnspruch oder Almosen

Eine armutsfeste Altersversorgung scheitert in einem reichen Deutschland nicht an der Finanzierung, sondern an den Interessen diverser Lobbys

Rainer Balcerowiak

lebt als freier Journalist, Blogger und Buchautor in Berlin. Zuletzt erschien von ihm „Aufstehen – und wohin geht’s?“ (Das Neue Berlin, 2018).

Die Debatte über eine Grundrente ist in vollem Gange. Neben den Bemühungen der SPD zur Repositionierung als Vertreterin der „kleinen Leute“ sorgen dabei auch die im Herbst stattfindenden drei Landtagswahlen in Ostdeutschland für mächtig Dampf im Kessel. Denn die berechtigte Angst vor Altersarmut hat in den neuen Bundesländern eine wesentlich größere Dimension als in den alten.

Viel ist in diesem Zusammenhang von „Gerechtigkeit“, „Respekt“ und „Lebensleistung“ die Rede. Doch das sind eher moralische Kategorien, die je nach ideologischer Verortung sehr unterschiedlich ausgelegt werden und daher kaum zielführende Lösungsansätze bieten.

Das System der fast ausschließlich auf Bruttolöhnen langjährig sozialversicherungspflichtig Beschäftigter basierenden gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) als Garant einer auskömmlichen Altersversorgung funktioniert in Deutschland nicht mehr. Dies hat vielfältige Ursachen, wie etwa das rasante Wachstum atypischer prekärer Arbeitsverhältnisse, die Zunahme gebrochener Erwerbsbiografien, das Ausufern des Niedriglohnsektors und die drastische Senkung des Rentenniveaus in Relation zum Arbeitseinkommen.

Dies war Anfang des Jahrtausends politisch gewollt, die GRV sollte im Rahmen der Agenda 2010 auf eine Basisabsicherung zurückgeführt werden, die vor allem durch geförderte private Zusatzversicherungen ergänzt wird. Zur Gewährleistung des Existenzminimums wurde die an die Hartz-IV-Leistungen gekoppelte Grundsicherung im Alter eingeführt, die allerdings nur nach rigider Bedürftigkeitsprüfung und Anrechnung von Ersparnissen als eine Art Almosen gewährt wird. Und das betrifft zunehmend auch Menschen, die 35 oder mehr Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, ohne dadurch existenzsichernde Ansprüche zu erwerben. Dazu kommt die große Zahl derer, die durch das Raster des GRV-Systems aus den bereits ausgeführten Gründen weitgehend durchgefallen sind und wenig Chancen haben, der Altersarmut zu entgehen.

Das wäre der Ansatzpunkt für eine Reform der GRV, die deren Funktion als Garant einer armutsfesten Altersversorgung wiederherstellen könnte. Und zwar nicht als staatliches Almosen, sondern als individuell gesicherten Anspruch aus einer staatlich garantierten Versicherung. Zur Finanzierung dieses Systems müssten außer den bereits jetzt sozialversicherungspflichtig Beschäftigten alle Erwerbsfähigen verbindlich in die Rentenversicherung einbezogen werden: sowohl Selbstständige, Beamte, Soldaten, Abgeordnete und Angehörige anderer Sonderversorgungssysteme als auch Minijobber, Erwerbslose, Studenten, Ehrenamtler, Personen, die Einkünfte aus Vermögen oder Vermietung beziehen oder familiäre Erziehungs- und Pflegeleistungen erbringen, für die Beiträge aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden müssten. Die jetzt diskutierte „Hürde“ von mindestens 35 Versicherungsjahren für eine Grundrente wäre damit großenteils hinfällig, da die meisten Bürger Rentensprüche erwerben würden.

Die Versicherung könnte (wie teilweise in Österreich und der Schweiz) nach einem solidarischen Äquivalenzprinzip funktionieren. Niedrige Ansprüche werden bis zur Höhe einer Grundrente aufgewertet, sehr hohe Ansprüche werden bei einer bestimmten Grenze gekappt. Verbunden mit einer höheren Beitragsbemessungsgrenze hieße dies, dass Spitzenverdiener die Aufwertung niedriger Ansprüche mitfinanzieren. Der Korridor könnte in Anlehnung an das System in Österreich zwischen monatlich 1.200 Euro Mindest- und 3.500 Euro Höchstrente liegen. Das „reine“ Äquivalenzprinzip zwischen Einzahlung und Auszahlung bliebe für das Gros der Versicherten dabei unangetastet, Spitzenverdienern bliebe genug Spielraum für zusätzliche private Absicherungen.

Da es sich um einen Versicherungsanspruch handelt, hätte sich die Frage der Bedürftigkeitsprüfung erledigt. Die Zahl der Menschen, die auch durch dieses System durchrutschen , wäre überschaubar. Sie hätten dann Anspruch auf eine Grundsicherung als Sozialleistung. Für diesen Personenkreis wäre eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen durchaus akzeptabel, um absurde Mitnahmeffekte zu unterbinden. Für die Akzeptanz einer solidarischen Rentenversicherung wäre es unerlässlich, zwischen durch Erwerbstätigkeit oder anrechenbare Ersatzzeiten erworbenen Ansprüchen und einer davon entkoppelten Sozialleistung zu unterscheiden, auch was die Höhe der jeweiligen Auszahlung betrifft.

Alle Einkommens- und Tätigkeitsarten müssten in die Rentenversicherung einbezogen werden

Ob das dann alles „gerecht“ wäre, ist eine ähnlich müßige Frage wie die nach der pekuniären Bemessung der „Lebensleistung“ von Menschen. Für grundlegende Überlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit ist das Rentensystem ein denkbar schlechtes Vehikel. Hinweise auf die teilweise absurden Pensionsansprüche einiger Topmanager sind in diesem Zusammenhang eher moralischer Natur. Diese Zahlungen haben nichts mit dem GRV-System zu tun. Ihre Regulierung könnte vielmehr steuer- und wirtschaftsrechtlich in Angriff genommen werden.

Eine solidarische, armutsfeste Altersversorgung wäre für ein reiches Land wie Deutschland kein Wolkenkuckucksheim. Die dafür notwendigen Instrumente sind bekannt und in einigen – keineswegs sozialistischen – Ländern auch erfolgreich eingesetzt worden. Eine umfassende Neustrukturierung der GRV scheitert auch nicht an ihrer Finanzierbarkeit. Vielmehr stehen dem nicht nur beinharte Neoliberale entgegen, sondern auch mächtige Gruppen, die ihre Privilegien mit allen Mitteln verteidigen wollen. Ein gesellschaftliches Lager , das auch große Teile der Gewerkschaften umfasst. Keine guten Voraussetzungen. Aber auch kein Grund, der seit Jahren praktizierten hilflosen Flickschusterei an der Alterssicherung und der dadurch wachsenden Bedrohung für Millionen von Menschen resigniert und tatenlos zuzuschauen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen