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"So weit wie sie kommen die wenigsten"

■ Konsequenz bewundern sie, Radikalität fasziniert sie, aber Gewalt lehnen sie ab. Vier junge Frauen reden über Ulrike Meinhof als feministisches und politisches Vorbild. "Eine Frau, die bis zum Schluß

taz: Ulrike Meinhof wäre heute 61 Jahre alt. Sie könnte fast eure Großmutter sein. Was interessiert euch an einer Oma aus dem Untergrund?

Sylvia: Ich find' Leute unheimlich stark, die eine Sache durchziehen können. Die sich so intensiv mit sich auseinandergesetzt haben, daß sie genau wissen, was sie wollen und was sie abschaffen wollen. Und die ihren Gegner genau kennen.

Jenny: Ich glaube, daß es so jemanden wie Ulrike Meinhof nicht noch einmal geben wird. Sie hat wirklich toll geschrieben, und ihre Art, zu denken und zu analysieren, ist klasse.

Cornelia: Ich hab' irgendwann in der Schule über die RAF gehört. Dann habe ich vor zwei Jahren den Margarethe-Trotta-Film „Die bleierne Zeit“ gesehen. Das hat mich sehr beeindruckt. Den Weg, den Ulrike Meinhof und die RAF gegangen sind, würde ich ablehnen, aber mich interessiert, wie sie dazu gekommen sind.

Stefanie: Irgendwann, da war ich wohl zwölf oder dreizehn, hat mir mein Vater auf einer Autofahrt von der RAF erzählt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals negativ über die Gruppe gedacht zu haben. Eigentlich hatte ich immer ein sympathisierendes Gefühl.

Sylvia: Ich hab' als Jugendliche auf dem Einwohnermeldeamt die Fahndungsfotos gesehen. Da hab' ich gemerkt, es gibt so was wie die RAF. Aber erst als eine Freundin auf einer Demo festgenommen wurde, hab' ich angefangen, mich richtig dafür zu interessieren. Meine Freundin hat ein Schild hochgehalten, auf dem stand: „RAF lebt“.

Jenny: Meine Eltern sind richtige 68er. Ich hab' von ihnen eine ganze Menge über die Bewegung mitgekriegt. Von den Demos und so. Diese Zeit muß schon toll gewesen sein. Über die RAF haben sie allerdings weniger geredet...

Wie denn?

Jenny: Sehr distanziert. Auch ich hab' ein ziemlich negatives Bild über die RAF. Unter anderem wegen der extrem hierarchischen Struktur, die in der Gruppe herrschte. Und daß sie bei den Bombenanschlägen auch Unbeteiligte umgebracht haben, find' ich echt 'ne Schweinerei.

Cornelia: Gerade heute hab' ich mir von meiner Mutter über diese Zeit erzählen lassen. Ich glaube, sie erzählt es jetzt anders als noch vor zehn Jahren. Sie verurteilt die Gewalt, aber inzwischen versucht sie sich zu erklären, wie es dazu kommen konnte. Und sie findet die Rolle der Frauen in der RAF immer spannender.

Stefanie: Die RAF-Frauen interessieren mich sowieso mehr als die Männer.

Sylvia: Es gibt nicht viele politisch aktive Frauen, die meinem Ideal entsprechen. Ulrike Meinhof hat wirklich was gemacht. Und auch noch etwas, was total gegen unsere Gesellschaftsordnung und gegen die Ethik vieler Leute war.

Gibt es andere Frauen, die du bewunderst?

Sylvia: Nur Rosa Luxemburg. Sie hat für ihre politische Überzeugung auf vieles verzichtet. Da besteht eine Parallele zu Ulrike Meinhof.

Cornelia: Ulrike Meinhof hat sich aktiv für die Rechte von Frauen eingesetzt. Trotzdem hat sie sich dann bei der RAF in eine Struktur begeben, die absolut hierarchisch und absolut patriarchal war — auch wenn die Gruppe immer behauptet hat, sie wäre ein Kollektiv. Aber da war Andreas Baader als Mann, als Obermacker...

Stefanie: ...der die RAF-Frauen als Fotzen bezeichnet hat.

Cornelia: Genau. Irgendwann haben sie sich selber so bezeichnet und sich dieser Hierarchie offenbar völlig untergeordnet. Gesellschaftlich haben sie diese Rollen bekämpft, aber sie in der Gruppe reproduziert. Wie kann so was passieren? Vor allem bei Ulrike Meinhof, die nach außen so revolutionär war und bereits einen so großen Schritt als Frau gemacht hat.

Ist es ein Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau zur Knarre greift?

Sylvia: Nein...

Jenny: Ich seh' da auch keinen Unterschied. Deshalb fand ich ziemlich kraß, was die späteren RAF-Frauen über die Baader- Befreiung erzählt haben. Die Frauen, die diese Aktion durchführen wollten, haben doch tatsächlich geglaubt, daß sie einen Mann mitnehmen müßten, damit man sie ernst nimmt. Obwohl sie bewaffnet waren. Wenn mich jemand mit der Waffe bedroht, ist es doch scheißegal, ob das ein Mann oder eine Frau ist.

Cornelia: Ulrike Meinhof ist bis zu einem Punkt gegangen, wohin andere Frauen in der Regel nicht gehen. Sie war in der revolutionären Gruppe, die die BRD am stärksten erschüttert hat. Aber als sie den Baader befreien wollte, brauchte sie einen Mann.

Privat lebte Ulrike Meinhof lange brav als Ehefrau und Mutter von zwei Kindern.

Sylvia: Als Mutter die Kinder zu verlassen und in die Illegalität zu gehen ist bestimmt ganz heftig. Dazu gehört ein ganz schönes Maß an Verzeiflung.

Stefanie: Das ärgert mich total. Andreas Baader hatte auch eine Tochter. Trotzdem stellt niemand die Frage, warum er sie verlassen hat.

Cornelia: Ich finde es nicht egal, ob eine Frau oder ein Mann zur Waffe greift. Und ich finde, es ist auch ein Unterschied, ob Baader oder Ulrike Meinhof ihre Kinder verlassen...

Stefanie: Aber Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin wird das immer wieder vorgehalten. Da werden schon wieder Rollenbilder reproduziert.

Fasziniert euch die Militanz von Ulrike Meinhof?

Stefanie: Ich glaub' schon. Weil sie etwas gemacht hat, das man oder frau nicht macht. Und ich finde es toll, wenn eine von ihrer politischen Haltung so überzeugt ist, daß sie bereit ist, illegal zu handeln. Das ist für mich ein Zeichen von Überzeugung und Stärke.

Cornelia: Gewalt steht offenbar für das äußerste politische Engagement. Je doller und politisch entschlossener ich für etwas eintrete, desto eher greif' ich zur Knarre. Und wir, die wir das nicht machen, sind angeblich noch nicht soweit. Ich glaube das nicht. Jemand kann auch ohne Gewalt genauso entschlossen kämpfen.

Sylvia: Die RAF war ziemlich extrem, aber wenigstens hat sie noch was getan.

Jenny: Außerdem hatte Ulrike Meinhof, schon bevor sie zur Waffe griff, eine sehr gradlinige und starke Persönlichkeit.

Cornelia: Ich könnte noch verstehen, daß sich Leute in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation zu einer Gruppe wie der RAF zusammentun. Aber ich glaube nicht, daß das der richtige Weg ist. Ich finde an Gewalt gar nichts Faszinierendes.

Sylvia: Ich bewundere, daß sie sich als Journalistin nie so weit hat entmutigen lassen, daß sie mit ihrer Arbeit aufgehört hätte. Heute gibt es so viele Leute, die ihr Fähnlein nach dem Wind drehen. Sie ist bis zum Schluß ihrer Überzeugung treu geblieben. Aber ich bewundere nicht, wie sie ihre Überzeugung später durchgesetzt hat. Das find' ich eher traurig.

Cornelia: Ich seh' diese Klarheit bei Ulrike Meinhof nicht so. Sie hatte zwar den ganz dollen Willen, etwas zu verändern. Aber ich glaube, irgendwann war auch viel Verzweiflung dabei. Ich hab' gelesen, daß sie in Stammheim Angst gekriegt hat, auch vor Andreas Baader. Daß sie sich gefragt hat, was eigentlich mit dieser Gruppe los ist. Ich glaube, daß sich bis zu ihrem Tod viel verselbständigt hat.

Sylvia: Das schmälert es für mich überhaupt nicht. Es kann ja sein, daß sie irgendwann verzweifelt, auch verwirrt war und die Gruppe nicht mehr das war, was sie sich drunter vorgestellt hat. Aber so weit wie sie kommen die wenigsten Leute in ihrer Konsequenz.

Hat diese Frau für euch aktuelle politische Bedeutung?

Stefanie: Ulrike Meinhof hatte ein ganz klares sozialistisches Gesellschaftsbild als Utopie. Das ist für mich heute nicht so. Ich weiß konkret, was ich nicht will: keine Atomkraft, keine Studiengebühr. Aber gesamtgesellschaftlich sehe ich keine Utopie. Das macht einen ziemlichen Unterschied in den politischen Handlungsmöglichkeiten.

Sylvia: Ich hab' mich früher immer gewundert, was an der Bundesrepublik so schrecklich gewesen sein muß, daß sich so eine Gruppe wie die RAF formiert hat. Inzwischen kann ich es ein Stück weit verstehen. Was der Kapitalismus anrichtet, ist mir eigentlich erst kürzlich klargeworden. Daß das Geld entscheidet, wer sein darf und wer nicht. Es wird immer wahnsinniger, je genauer man hinguckt. Wenn heute eine militante Gruppe entstehen würde, könnte ich es gut verstehen...

Jenny: ...vor allem wenn das so weitergeht mit dem ganzen Sozialabbau. Dann können sich die Leute nicht mehr leisten, unpolitisch zu sein. Dann könnte es doch sein, daß es wieder zu einem radikalen Phänomen wie der RAF führt.

Stefanie: Aber ich könnte mir nicht vorstellen, jemanden totzuschießen, auch wenn's Helmut Kohl wäre. Ulrike Meinhof ist für mich wichtig, weil sie linke Geschichte gemacht hat. Aber für konkrete politische Aktionen ist sie kein Vorbild. Bei den Problemen, mit denen ich mich rumschlage, kann ich nicht bei der RAF nachblättern.

Sylvia: Ich hab' in diesem Land immer mehr das Gefühl, daß alles so bleiern wird. Niemand macht mehr etwas, auf die Demos gehen immer weniger Leute, nur noch die, die Randale machen. Aber vom politischen Willen bleibt nicht mehr viel übrig.

Cornelia: Die RAF mit ihrer sozialistischen Utopie ist ganz weit weg. Für mich steht im Vordergrund, daß wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben und die bestehenden Machtverhältnisse aus dieser Struktur resultieren. Das ist ein anderer Ansatz, als sich immer die Klassenfrage zu stellen. Ich gucke nicht auf die RAF, wenn ich heute politisch aktiv bin.

Das Gespräch führte

Bascha Mika

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