"Hier wird urban interveniert"

■ In Mitte haben Architekten und Künstler zwölf Orte für kurze Zeit neuer Bestimmung zugeführt: Von Baustellengolf, Hundebüsten und rätselhaften Kopfkissen an einem Haus

Ui, die Kugel springt über eine Rampe aus rotweißen Baustellenschildern. Kleine Bodendellen machen ihr den Garaus. Die Entfernung zu Loch Nummer 1 ist kurz, doch voller unwegsamer Tücken. Einfacher ist Loch Nummer 2. Der Kugel bleibt nur der vorgegebene Weg in einer halbierten Regenrinne. Loch Nummer 3 ist wieder eine Herausforderung. Soll die Kugel in das staubige Bodenloch oder in den Fuß des Baustellenschildes? Weder noch. In etwa zwei Meter Höhe hängt eine orangefarbene Folie mit Loch. Ui, fliegt der Ball durch die Luft und prallt am Bauzaun ab. Einige wenige Schläge würden reichen, um ihn in den Straßengully zu bugsieren, in Loch Nummer 7. Genausogut kann er auch in einer Bodendelle versenkt oder in der Hosentasche versteckt werden. Nummern als ignorierbare Größen.

Die als Minigolf getarnte Baufläche in der Rosenthaler Ecke Neue Schönhauser Straße gehört zu „Ui!“, dem Projekt „Urbane Interventionen“ von Architekten, Landschaftsarchitekten und Künstlern. An zwölf „instabilen Orten“ in Mitte haben sie die eigene Ästhetik der Orte sichtbar gemacht und Strukturen ergänzt. Absurdes soll sinnvoll werden, Sinnvolles absurd. „Jeder soll sich seine Nischen selbst suchen“, beschreibt Städtebauerin Angelika Halbig das Baustellengolf. Mit der Installation „Löcher, Löcher“ sollen Möglichkeiten wahrgenommen werden, die sich durch Abriß ergeben. Bis zum 20. Juli kann rund um die Uhr gegolft werden. Auch morgens um drei stehen Schläger bereit, um sich im Baustellendschungel in Gesellschaft einer kleinen Kugel Gedanken zu machen über Vergangenheit, Sein und Werden der Stadt.

Wen das Hauptstadtgolf nicht inspiriert, der findet wenige Meter hinter Loch 14, in der Neuen Schönhauser Straße, Stoff zum Grübeln. Dort stehen auf Sockeln vor einer Hauswand Büsten. Doch statt Beethoven oder Bismarck zieren tierische Konterfeis den Gehweg. Über der Hundegalerie steht ein Schild: „Die Menschen beziehen immer alles auf sich; täten sie es nicht, wäre es auch vermessen“, wird der Besucher an die Gedankenleine genommen.

Ob die Installation einer Parkbank, die selbst zum Blickfang wird, ein alter Kaugummiautomat als Eingang zum „Garten des Ikarus“ oder blaue Rechtecke vor einer Brandwand – so verschieden die Orte auch sind, sie haben eins gemeinsam: Sie sind Freiräume von kurzer Beständigkeit, die die Projektbeteiligten in Mitte gefunden haben – materialisierte Urbanität. So auch in der Dircksenstraße in der Nähe vom Hackeschen Markt. Dort lockt ein leeres Haus mit riesigen Kopfkissen in den Fenstern und einem kleinen Schild „Untold Stories. Unerzählte Geschichten“. Das Haus wird zum Suchbild, wo Grenzen zwischen innen und außen verschwimmen. Barbara Bollwahn

Noch bis 20. Juli sind die 12 Außenraum-Projekte zu sehen und zu erleben. Bertolt-Brecht-Platz: „Zwischen den Ginkos“; Albrechtstr. 11: „Den Himmel betrachten“ und „Base Dome“; Choriner Str. 30: „Unbekannte Räume und heimliche Fassaden II“; Invalidenstr. 153: „Los, Paul, 1, 2“; Rosenthaler Ecke Neue Schönhauser Str.: „Löcher, Löcher“; Dircksenstraße 41: „Unerzählte Geschichten“; Zehdenicker Str. 9–10: „Park“; Reinhardtstr. 17/19: „Der Garten des Ikarus“; Neue Schönhauser Str. 3–5: „Hundebüsten“; K2-Baracke, Burgstr. 31: „Haltestelle“; Tucholskystraße/ Spreeufer: „Spree-Matrosen“