: "Hier herrscht das Kreuzberger Landrecht!"
■ Den Ruf, eine Schlägertruppe zu sein, hat die Berliner Polizei schon lange. Nach neuen Vorwürfen wurde jetzt eine ganze Einheit aufgelöst. "Schwarze Schafe", Einzeltäter? Zum ersten Mal ...
Den Ruf, eine Schlägertruppe zu sein, hat die Berliner Polizei schon lange. Nach neuen Vorwürfen wurde jetzt eine ganze Einheit aufgelöst. „Schwarze Schafe“, Einzeltäter? Zum ersten Mal erzählt einer, der dazugehört hat, wie es wirklich ist.
„Hier herrscht das Kreuzberger Landrecht!“
Der 22jährige Frank G. schied Ende Juni nach fünf Jahren aus der Berliner Polizei aus. Seine Einsatzgebiete waren die Bezirke Kreuzberg, Tiergarten, Schöneberg und Mitte. Zuletzt gehörte er einem Festnahmezug bei der Bereitschaftspolizei 2 an.
taz: Zehn Beamte eines Zuges einer Hundertschaft aus Kreuzberg sind in den Verdacht geraten, drei Skinheads und einen Rumänen mißhandelt und Zigaretten beiseite geschafft zu haben. Wundern Sie solche Meldungen?
Frank G.: Überhaupt nicht. Nicht erst seit heute wird bei der Berliner Polizei mit beschlagnahmten Zigaretten gehandelt. Und daß nach Festnahmen geschlagen wird – wohlgemerkt nicht nur Ausländer –, ist ebenfalls keine Neuigkeit. Solche Dinge habe ich von Anfang an mitbekommen, seit ich bei der Polizei aus der Lehre herauskam.
Können Sie sich noch an den ersten Vorfall erinnern?
Sehr gut. Das werde ich nie vergessen. Anfang Oktober 1992 war ich nachts in Kreuzberg, als mich ein junger Türke als „Scheißbulle“ beschimpfte. Daraufhin habe ich, so, wie ich es in der Ausbildung gelernt hatte, seine Personalien aufgenommen und wollte eine Anzeige wegen Beleidigung schreiben. Die Kollegen aus der Direktion 5 (Kreuzberg – d. Red.) lachten mich daraufhin aus und sagten: „Hier herrscht das Kreuzberger Landrecht“. Dann haben sich ungefähr zehn Mann den Türken gegriffen und hinter dem Wagen, in der Dunkelheit, zusammengeschlagen.
In diesem Moment ist bei mir eine Welt zusammengebrochen. Ein Polizeibeamter ist ja nicht dazu da, Selbstjustiz zu üben. Als ich mich bei meinem Zugführer beschwerte, sagte der nur: „Wir schreiben nicht auf, sondern schlagen los.“
Haben Sie den Vorfall für sich behalten?
Intern habe ich mit anderen Kollegen, die wie ich frisch aus der Direktion 2 (Spandau – d. Red.) kamen, darüber gesprochen. Wir sind alle zu dem Ergebnis gekommen: Das war nicht richtig. Trotzdem haben wir nichts unternommen.
Warum nicht?
Weil die Angst gegenüber dem Vorgesetzten zu groß ist. Die Hierarchie ist zu stark. Dagegen kommt man nicht an. Ich habe unter anderem erlebt, daß sich Kollegen wegen irgendwelcher Schwierigkeiten beim Zugführer beschwert haben. Daraufhin wurden die Leute nicht direkt ermahnt. Man ließ sich einfach Schikanen einfallen: Während die anderen nachts in der Kaserne geschlafen haben, mußten die Betroffenen Wache schieben oder Autos waschen.
Unter den Beschuldigten der jüngsten Affäre sind auch zwei Frauen ...
... der Druck auf die Frauen ist sehr groß, sie werden von den Männern nicht richtig ernst genommen. Nach manchen Einsätzen haben sie dann vor den Vorgesetzten geprahlt. Da haben manche Frauen solche Sätze gesagt wie: „Habt ihr gesehen, wie ich dem eine mitgegeben habe?“
Sie haben an einigen Einsätzen bei den Kreuzberger Erste-Mai- Demonstrationen teilgenommen.
Unser Zug hat meistens die Demonstration begleitet, weil Angehörige unserer Einheit schon seit Jahren Erfahrungen mit Kreuzberger Einsätzen gesammelt hatten. Die Autonomen haben sehr häufig auch angefangen. Wenn dann ein Kollege vom Stein getroffen wurde, war das nicht lustig. Klar habe ich da zu meinen Kollegen gehalten.
Im vergangenen Jahr zum Beispiel wurden wir vor dem Treuhandgebäude von ostdeutschen Chemiearbeitern regelrecht überrannt. Das waren richtige Schränke, von denen habe ich richtig Haue gekriegt. Da habe ich natürlich zurückgeschlagen. Aber das eine ist die Festnahme, das andere, was nachher passiert.
Sehr häufig wird von Festgenommenen beklagt, sie würden auf den Wagen grob behandelt.
Schlagen, Treten – das kam immer wieder vor. Am 1. Mai 1993 hatten wir einen jungen Deutschen in der Adalbertstraße festgenommen. Der saß im Wagen, hinten an der Tür, mit Handfesseln auf dem Boden, zwischen den Beinen des Gruppenführers. Der zog plötzlich eine Schere raus und schnitt dem Mann ein Stück von den Haaren ab. Dann sagte er: „Das brauch' ich für meine Skalpsammlung.“
Wurden Sie auch gegen vietnamesische Zigarettenhändler eingesetzt?
Ja, sowohl in Uniform als auch in Zivil. Auf offener Straße wurden die Vietnamesen bei Festnahmen ordentlich behandelt – meistens waren ja Bürger in der Nähe, da mußte das Bild der Polizei gewahrt werden. Aber es gab doch Spezialisten in der Einheit, die mit Ausländern nichts am Hut hatten. Im Wagen wurde dann losgelegt. Indem beispielweise die Handfesseln fester gedreht wurden. Oder der Vietnamese bekam eine links und rechts verpaßt, wenn er trotz Verbots einfach weiterredete. Wenn einer auf dem Boden lag, wurde häufig keine Rücksicht genommen. Jeder stiefelte über ihn hinüber, so, als läge da eigentlich keiner.
Wie steht es mit rechtsradikalem Denken unter den Beamten?
Ich habe nie erlebt, daß darüber gesprochen wurde. Auch Propagandamaterial wurde nicht mitgebracht. Was allerdings schon mal rumgereicht wurde, waren Bestellzettel für Platten von Störkraft (rechtsradikale Band – d. Red.) oder für Aufnahmen von „Führers Reden“.
Die jetzt vom Dienst suspendierten Beamten werden verdächtigt, sich eigene Schlagwerkzeuge angeschafft zu haben. Rüsten sich die Beamten selber aus?
Man mußte sich zusätzlich ausstaffieren. Eine Zeitlang reichten unsere Mittel gar nicht aus, um auf Demonstrationen zu gehen. Wir hatten bis zum letzten Jahr noch überwiegend Lederhandschuhe: Vor Steinwürfen war man mit denen nicht geschützt. Wenn man was abbekam, tat das verdammt weh. Ich habe mir auch Motocross- Handschuhe gekauft, die waren vorne abgedeckt. Wie gesagt: Es war zum eigenen Schutz.
Was allerdings besonders gerne gekauft wurde, waren Holzschlagstöcke. Denn offiziell waren die irgendwann verboten. Aber die vorgeschriebenen Gummischlagstöcke tun ja nicht weh. Also hat man sich selber im Großhandel schwarze Holzschlagstöcke angeschafft. Die waren etwas kürzer, aber ansonsten vom Laien von einem Gummiknüppel kaum zu unterscheiden.
Hat man die Beamten dazu angehalten?
Nein. Nicht direkt. Es war ja verboten. Es wurde lediglich gesagt: Wer mit so einem Holzstock erwischt wird, muß die Konsequenzen tragen. Die Entscheidung wurde jedem überlassen.
Was müßte Ihrer Ansicht nach in der Berliner Polizei verändert werden?
Die Hierarchie stimmt einfach nicht. Junge Beamte werden von ihren Vorgesetzten dermaßen eingeschüchtert, daß sie sich dann zu Mißhandlungen, etwa von Ausländern, hinreißen lassen. Kommt es dann zu einer Anzeige des Betroffenen, reden sich die Vorgesetzten einfach raus. Der Druck, die Einschüchterung fängt bereits im Kleinen an: Bei uns im Zug war es so, daß man erst als Polizeimeister den Zugführer duzen durfte. Als Polizeihauptwachtmeister war das nicht drin. Da macht sich Unmut breit. Interview: Severin Weiland
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