: "Alles wird besser, aber nichts wird gut"
■ Tamara Danz ist tot. In ihren Rocksongs war viel Platz für Hurensöhne, verlorene Kinder und "wilde Mathilden" - Das tat gut in Honeckers sozialistischem Einheitsgrau. Und überhaupt: Stil ist, wenn
Die Geschichte klingt schwer nach Groschenroman: Tamara Danz begann, wie etliche andere DDR-Stars auch, beim FDJ-„Oktoberklub“. Sie mußte dort bald ihren Abschied nehmen, weil sie angeblich nicht singen konnte. „Na ja, ums Singen ging's da ja ooch nich so“, hat Danz das Intermezzo später mit der ihr eigenen Lakonie kommentiert. Tamara Danz neigte eher zu Rock als zu Agitprop, und sie „schaffte es“ trotzdem. Siebenmal wurde sie in der DDR zur „Rocksängerin des Jahres“ gewählt, dreimal produzierte sie mit Silly – seit fünfzehn Jahren ihre Band – die beste „LP des Jahres“, mehr als eine Million verkaufte Platten.
Die Alben, die Tamara Danz mit der Band Silly einspielte, gehörten zu den am schärfsten zensierten. Klar, warum: Es war auf ihnen immer eine Menge Platz für nicht genehme Gefühle, für unbegrenzte Sehnsüchte, „Hurensöhne“, „Liebeswalzer“ und „wilde Mathilden“, die sich nun einmal schlecht instrumentalisieren ließen. Für „verlorene Kinder“, die es im Glücksstaat eigentlich nicht geben durfte. Solche angeordneten Leerstellen gefielen Tamara Danz nicht. „Alles wird besser / aber nichts wird gut“, schrieb Sillys Haustexter Werner Karma, ein studierter Philosoph, 1988 denn auch.
Tamara Danz gefiel sich viele Jahre selbst in der Rolle der „wilden Mathilde“. Ihre voluminöse Haartracht, gut genug für ihr Publikum, mußte auch gut genug für einen Empfang bei dem verdatterten Honecker sein. Vor Talk- Shows, Leder, Stretch und Make-up hatte sie keine Angst. Aufrechte Kodderschnauze, äußerlich ein Paradiesvogel – das tat gut im deutschen demokratischen Einheitsgrau. Die Danz war ein Sexsymbol, auch wenn es dieses Wort – und seine libidotötenden Folgen – in der DDR eigentlich nicht gab. Man sagte „Vollweib“ und meinte nicht eine puppige Petra Ziegert, sondern die kraftvolle Frontfrau von Silly.
Weil Tamara Danz so unglaublich populär war und noch dazu so schrecklich berlinerte, wurde sie von der subkulturellen Elite des Prenzlauer Bergs oft genug unterschätzt, für ordinär und platt gehalten. Doch selbst die, denen die hemdsärmlige Rotzigkeit der – nun ja – „Rocklady“ und ihr „Ich- bin-eine-starke-Frau“-Image auf die Nerven gingen, hatten mindestens ein Silly-Album im Schrank. Meist war es „Mont Klamott“ von 1983, Sillys großer Plattenerfolg, der nach dem aus Bombenruinen aufgeschütteten Prenzlauer Berg benannt war. La Danz sympathisierte mit den „herrschenden“ Proletariern, die damals wie heute Verlierer der Macht waren, nicht mit der Theorie. Sie war auf der Seite der „verlorenen Kinder“ Ostberlins, die auch deswegen besonders „beschützt“ wurden, weil sie so gern in die warmen Länder geflohen wären.
Noch vor der Wende gab Tamara Danz mit Silly nach den Übergriffen der Volkspolizei auf Demonstranten am 7. und 8. Oktober ein „Konzert gegen Gewalt“. Sillys musikalischen Siegerkurs unterbrach vorerst die Wende. Jede fünftklassige britische Band genoß im Zuge des allgemeinen West- Nachhol-Rausches mehr Aufmerksamkeit als eine erstklassige mit DDR-Wurzeln. Eine große Münchner Plattenfirma wollte wenigstens pro forma guten Willen beweisen, doch der Stil von Silly war ihr nicht „flockig“ genug, nicht gesamtdeutsch kompatibel. BMG Ariola schickte den Ariola-Texter mit Ariola-Texten zu Tamara Danz, die sich weigerte, „diesen Scheiß“ zu singen. Der Vertrag zwischen Silly und Ariola kam nicht einmal in der Rohfassung zustande. Und dann gab es ja auch viel zu tun für Sängerinnen wie Tamara Danz oder Barabara Thalheim, die sich gleichzeitig als politisch verantwortliche Menschen verstanden.
Tamara Danz unterzeichnete im Juli 1992 den viel belächelten Gründungsaufruf des „Komitees für Gerechtigkeit“. 1995 war sie sich nicht zu schade, in einer Marktbude Spielzeug und Kleider zugunsten eines Lichtenberger Kinderheims zu verkaufen. Doch das gehört schon zum Nachspiel eines Lebens, das bis zuletzt der „Danz“-Musik gewidmet blieb. „Danz“-Musik – so hieß auch ihr Studio. Stil ist, wenn man trotzdem weitermacht.
Die Krankheit wollte Tamara Danz mit sich selbst abmachen. Im März 1996 hatte sie genug Kraft gesammelt, um das letzte mit Silly aufgenommene Album „Paradies“, zu veröffentlichen. Eine todtraurige Platte, denn die Danz wußte, was mit ihr geschehen würde. In einem Atemzug mit Jimi Hendrix oder Kurt Cobain wird Tamara Danz nicht genannt werden, doch auch ihr hätte man ein paar Jahre mehr in warmen Ländern gewünscht. Am Montag starb Tamara Danz im Alter von 43 Jahren an Krebs. Sie wird einem fehlen. Anke Westphal
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen