querspalte: betr.: wie marx wirklich war
Investigativ und intelligent – „Bild“ erschließt sich ein neues Marktsegment
Fast täglich lesen wir in den überregionalen Tageszeitungen, ihre Qualität sei in Gefahr. Wehklagen dieser Art sind überflüssig, denn schon steht die Bild-Zeitung bereit, die kommerziell erzwungene Niveausenkung der Intelligenzblätter durch einen eigenen Qualitätssprung auszugleichen. Jüngster Beweis ist die Ausgabe vom 15. März dieses Jahres, in der auf Seite 8 der Frage nachgegangen wird, ob man Karl Marx heute noch ein Denkmal setzen darf. Statt manierierter Fragestellungen im Stil von „What’s left?“ greifen die Autoren einen konkreten Denkmalsstreit in Fürstenwalde auf, wo soeben ein in einen Findling eingelassenes Bronzerelief von Karl Marx enthüllt wurde. Auf nur 100 noch dazu durch ein voluminöses Brustbild Marxens eingeschränkten Zeilen gelingt es dem Artikel, zum Kern der Auseinandersetzung vorzustoßen: Es geht um den Kampf der Jugend gegen die obstinaten SED-Rentner. Wie die Gymnasiastin Nicole Pfeiffer (19) es ausdrückte: „Marx war Vorbild für die DDR. Und die ist doch wohl tot. Ich schäme mich.“
Der Artikel leistet auch, was in Qualitätsblatt-Erörterungen zu Marx oft verschwiegen wird: er war ein schwacher Charakter. Nicht nur pumpte er, wie die Autoren zeigen, ständig seinen reichen Freund Engels an, überantwortete ihm ein ehebrecherisch gezeugtes Kind zwecks Vaterschaft und redete schlecht nicht nur über die Kollegen auf der Linken, sondern auch über die deutschen Arbeiter, denen er sich partout nicht zeigen wollte.
Die beiden Autoren gelangen auch zu ganz neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Bislang war irrtümlich angenommen worden, Band 2 und 3 des „Kapital“ seien von Engels in mühsamer Kleinarbeit aus Marxens Manuskripten entziffert, geordnet und herausgegeben worden. Jetzt erfahren wir, dass es niemand anderes als eben „Kumpel Engels“ war, der die erwähnten Bände selbst verfasste. Zu einem vergleichbaren Durchbruch gelangen die Autoren auch mit der Feststellung, Marx sei „bekennender Rassist und Antisemit“ gewesen, eine Haltung, die für Mitarbeiter der Bild-Zeitung gänzlich unvorstellbar wäre. Wie notwendig solche Enthüllungen sind, zeigte die lasche Haltung des liberalen Fürstenwalder Bürgermeisters Reim (auch schon 58!), man müsse dem Findling das Marx-Gesichtsrelief zurückgeben, das, zu DDR-Zeiten gefertigt, nach der Wende entwendet worden war. Pointenstark und ganz im Geist der Qualitätszeitungen weist Bild abschließend darauf hin, dass bis 1945 ein Bismarck-Relief den Findling schmückte! CHRISTIAN SEMLER
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