Nazicodes auf Fußballtrikots: Gefährliche Desensibilisierung
Im Berliner Amateurfußball findet die Mehrheit Nazicodes auf Trikots okay. Man könne sie ja auch anders lesen.
M anche Ereignisse geschehen zu den unpassendsten Momenten. Anfang vergangener Woche hatte der Deutsche Fußball-Bund zu einer Veranstaltung nach Berlin eingeladen, auf der die aus eigener Sicht tollen Ergebnisse eines „Projekts zur wirksamen und nachhaltigen Anti-Rassismus-Arbeit im deutschen Amateurfußball“ vorgestellt wurden. Entstanden war dies auch in Zusammenarbeit mit dem jüdischen Sportverband Makkabi in Deutschland. Etwas sperrig hieß es in einer DFB-Pressemitteilung, es wurden in einer Pilotphase „75 Maßnahmen umgesetzt, die Vereine im Umgang mit Rassismus sensibilisiert und gestärkt haben“.
Und just am Rande dieser Veranstaltung musste Bernd Schultz, der Präsident des Berliner Fußballverbandes, erklären, warum zwei Tage zuvor das Vorhaben seines Präsidiums, ein klares Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen, an der Mehrheit der Vereinsvertreter in seinem Landesverband scheiterte. Mit 52:48 Stimmen wurde der Antrag abgelehnt, die Trikotnummer 88 nicht mehr zu vergeben. Eine Zahl, welche Neonazis als Erkennungscode dient und für „Heil Hitler“ steht. Das H ist der achte Buchstabe im Alphabet.
Der älteste Fußballverein Deutschlands, die B.F.C. Germania 1888, hatte unter den Berliner Klubs erfolgreiche Lobbyarbeit betrieben, um den Präsidiumsantrag abzuschmettern.
Einige Spieler würden sich aus Gründen der Identifikation mit dem Verein diese Nummer wünschen. Letztlich zählten die Bedürfnisse der Germania – genauer: die einzelnen Spieler – mehr als die Sorgen vor Rechtsextremismus und Antisemitismus. Bereits vier Jahre zuvor wurde ein solcher Verbotsantrag verhindert.
Bündnis der Geschichtsvergessenheit
Andere Berliner Vereine sprangen der Germania auch dieses Mal aus erklärtem Eigeninteresse zur Seite. Die 88 könne doch ebenso für das Alter des Opas oder für eine geliebte Hausnummer stehen, wurde Berichten zufolge argumentiert. Ein Verzicht darauf, um ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen, schien ihnen offenkundig zu viel verlangt.
Die Vorgänge im Berliner Amateurfußball weisen auf die zunehmende gesellschaftliche Desensibilisierung in Fragen von Antisemitismus bei steigender rechtsextremer Gewalt hin, die sich nun eben im Fußball bemerkbar machen. In der Fußballfamilie werden solche Befunde gern als Freibrief fürs Nichtstun verstanden. Das Gegenteil ist erforderlich.
Die Germania 1888 hätte gute Gründe, sich besonders dafür zu engagieren. Im Jahr 1938 rühmte man sich in einer Jubiläumsschrift, als erster deutscher Verein alle jüdischen Mitglieder ausgeschlossen zu haben. Jetzt geht der Verein voran, um das Ausschließen eines Nazicodes zu verhindern und ein Bündnis der Geschichtsvergessenheit zu schmieden.
Im deutschen Profifußball sind ohnehin nur die Nummern 1 bis 49 zulässig. In etlichen Landesverbänden wie Bayern, Sachsen-Anhalt oder Niedersachsen ist die Trikotnummer 88 im Amateurfußball bereits verboten. Die unterschiedlichen Signale, die von den Landesverbänden in dieser Angelegenheit ausgehen, wirken unglücklich. Sinnvoll wäre eine einheitliche Regelung, die der Deutsche Fußball-Bund vorgibt.
In Italien wurde bereits im Sommer 2023 die Trikotnummer 88 für alle Fußballvereine verboten. Antisemitismus müsse entschieden bekämpft werden, erklärte damals unisono die italienische Regierung und der nationale Fußballverband. Beim Derby im März desselben Jahres zwischen Lazio Rom und AS Rom löste ein Fan die Debatte aus, der ein Trikot mit der Aufschrift „Hitlerson“ und der Nummer 88 trug. Wie sich dann später herausstellte, war es ein Deutscher.
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