press-schlag: Nichts ist normaler als eine Bayern-Schlappe in Lyon
Der Kaiser der Ewiggestrigen
Franz Beckenbauer hat es mit seiner Bankett-Tirade nach dem 0:3 bei Olympique Lyon zwar endlich geschafft, in der Rangliste der großen Bayern-Rhetoren an Lothar Matthäus vorbeizuziehen und sich auf Rang zwei hinter Giovanni Trapattoni zu schieben, zur Erhellung der Lage hat sein extensives Lamento allerdings kaum beigetragen. „Das ist nicht Real Madrid, Barcelona oder Manchester United – und wir haben eine Vorführung bekommen“, lautete nach dem Debakel der Kernsatz seines Ausflugs in verbale Jammertal, was gleich zwei kaiserliche Glaubenssätze offenbarte. Erstens: Vorführungen durch Real Madrid, den FC Barcelona oder Manchester United liegen sehr wohl im Bereich des Beckenbauer’schen Vorstellungshorizonts und sind also quasi genehmigt. Zweitens: solche durch Olympique Lyon nicht.
Mit Verlaub, das ist Uwe-Seeler-Traditionsdenken. So wie sich der Bayern-Präsident seit Jahren weigert, den Verfall deutscher Tugenden auf Nationalmannschaftsebene zuzugeben, oder einzusehen, dass alte große Namen wie Inter Mailand, Juventus Turin, Glasgow Rangers allein noch keinen großen Fußball garantieren, so ignoriert er, dass sich auch die Hierarchien im Vereinsfußball verändert haben. Eine Niederlage des deutschen Meisters gegen den französischen ist selbst in dieser Höhe durchaus normal. Und die fest verwurzelte Überzeugung, dass Niederlagen deutscher Teams immer daran liegen, dass sie nicht gewollt haben, aber nie daran, dass sie nicht konnten, ist völlig überholt.
Eitles Geschwätz all die Schuldzuweisungen von mangelhaftem Zweikampfverhalten, ungenügendem Einsatz, fehlender Motivation angesichts des einen Punktes, der bloß noch zum Erreichen des Viertelfinales der Champions League fehlte. Die Bayern sind schlicht an die Wand gespielt worden, und bevor Kuffour, Linke, Jeremies das Wort Zweikampf überhaupt denken konnten, waren die Franzosen längst an ihnen vorbei. Wenn, wie der Saisonverlauf zeigt, die Spitzenmannschaften hier zu Lande jederzeit gegen die schlechteren Bundesligateams verlieren können, dann erst recht gegen gute europäische Mannschaften. Es kommt schließlich nicht von ungefähr, dass in einer recht frühen Phase der europäischen Wettbewerbe nur noch zwei deutsche Teams dabei sind, die anderen aber zuerst rasant aus der Champions League purzelten und dann im Uefa-Cup keineswegs an den Giganten des Kontinents scheiterten, sondern meist an Teams, die inzwischen ebenfalls schon lange nicht mehr dabei sind.
Erst Giovane Elber, jetzt Stefan Effenberg haben darauf hingewiesen, dass mit dem aktuellen Kader der Münchner Bayern kein europäischer Blumentopf zu gewinnen ist. Und ein Qualitätssprung, wie ihn der Tscheche Tomas Rosicky bei Borussia Dortmund zustande brachte, ist für die 25 Millionen Mark, die Manager Uli Hoeneß als Obergrenze finanzieller Anstrengungen betrachtet, heutzutage nicht mehr zu haben. Bei Deportivo La Coruña zum Beispiel, das am Mittwoch gegen Paris St. Germain den Bayern in grandioser Manier demonstrierte, wie man aus einem 0:3-Rückstand noch einen 4:3-Sieg macht, hat selbst ein Ersatzstürmer wie Diego Tristan 35 Millionen gekostet. Der Vorteil: Wenn er eingewechselt wird, trifft er auch. Die Münchner hingegen sind in einem Dilemma gefangen. Auf der einen Seite bekämpfen sie als Mitglied der G 14, dem Gremium europäischer Spitzenklubs, neue Transferregeln zur Eindämmung der gigantischen Ablösesummen, auf der anderen Seite wollen sie diese nicht zahlen. Was bleibt, ist die Rolle, die Teams wie Freiburg oder Wolfsburg in der Bundesliga spielen: Gelegentlich, wenn es gut läuft, den Großen und Reichen mal ein Schnippchen schlagen, den Sprung nach ganz oben aber dann doch nie schaffen.
Den Bayern-Spielern ihre Hilflosigkeit von Lyon als mangelnden Willen oder gar verfehlte Berufswahl auszulegen, wie es Beckenbauer tat, ist genauso ungerecht wie das Hochjubeln vor zwei Wochen nach dem 3:0 bei Spartak Moskau. Auch da waren sie zeitweise mächtig vorgeführt worden, hätten gut mit zwei, drei Toren zurückliegen können und durften sich glücklich schätzen, dass die Moskauer über keinen Sidney Govou verfügten, der die Bälle am Dienstag respektlos an Oliver Kahn vorbei ins Netz hämmerte. Überhaupt hätten die Münchner kaum die erste Runde der Champions League überstanden, wenn sie nicht den auf der Linie weltbesten Torhüter zwischen den Pfosten hätten. Sollte sich jetzt noch herumsprechen, dass Kahn aus der Ferne viel leichter zu bezwingen ist als aus Nahdistanz, könnte es wirklich prekär werden für den FC Bayern.
MATTI LIESKE
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