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press-schlagSt. Pauli zieht um zum HSV und keinen kümmert‘s

Willkommen im Spielzeugland

Es darf ignoriert werden: Der FC St. Pauli spielt sein Heimspiel gegen den HSV in der verhassten Schüssel an der Müllverbrennungsanlage, alle rennen zum Spiel um die Stadtmeisterschaft, aber es geht um nichts, ihr Freunde längst vergangener Derby-Rivalität. Wer will schon zum x-ten Mal 1860 gegen die Bayern verlieren sehen, Bayer Leverkusen wiederholt den Putsch gegen die rheinische Fußballmacht Köln vollziehen lassen, Dortmund und Schalke ihre mehr internationalen denn regionalen Rivalitäten austragen sehen oder dieses Mal den eher bemitleidens-, denn hassenswerten FC St. Pauli und den vor Langeweile nicht mehr zu überbietenden HSV an einem Freitagabend um die saure Ananas spielen sehen. Das Hamburger Derby ist einfach langweilig. Und das nicht nur, weil ein St.-Pauli-Fan zu Recht bemerkt, dass die Anfahrt in das Gebiet des ungeliebten anderen spannender sei, als das Spiel auf dem Rasen es jemals werden könnte. Aber selbst das ist noch eine artifizielle Aufwertung des Derbys.

Denn bösartige Rivalitäten hat es seit Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger kaum mehr gegeben. Das religiöse Grollen eines Matches zwischen den Celtics und Rangers aus Glasgow besitzt es nicht einmal bei aller Fantasie der aggressiven Marketingabteilung des FC St. Pauli. Nicht nur, dass die einzige manuelle Tafel der Bundesliga abgefilmt und auf der Videoleinwand eingespielt wird, auch gibt es so genannte Torwächter, die mit einem blöden Blau- bzw. Rotlicht auf dem Kopf die Tore audiovisuell aufpeppen sollen. Weitere ermüdende Aktivitäten: Um den Fans tatsächlich Heimspielcharakter vorzutäuschen, wird das Millerntor mit Hilfe von Beamern an das Zeltdach der AOK-Arena, wie ein Marketingmann bewusst falsch anmerkte, projiziert. Rivalität als Werbegag.

Völlig gelangweilt präsentierten sich dann auch Kurt Jara und Dietmar Demuth als Trainerrivalen einen Tag vor dem Match in zwei großen Boulevardzeitungen, um versöhnliche Interviews zu geben und in aller Verbrüderungsstimmung noch den Hamburger Michel zu besteigen. Da bleibt man lieber gleich zu Hause und freut sich über ein freundschaftliches Unentschieden, zumal die professionellen Ballschieber als Exilhamburger gegen Leverkusen und Bayern viel motivierter sind als im Spiel um die Stadtmeisterschaft. Selbst von Boxern abgekupferte Stimmungsmache, die durch einen erhöhten Publizitätszwang im Vorfeld eines solchen Aufeinandertreffens strapaziert werden, sind nicht mehr als Seifenblasen in einem Spielzeugladen für Drei- bis Siebenjährige. „Wir schlagen den HSV auch auf dem Mond“, ließ Thomas Meggle zitatwirksam in die Blöcke der Journalisten schreiben, wird aber in der kommenden Saison aller Voraussicht nach für die gerade Geschmähten auflaufen.

Wenn sich dann auch noch der Blödelbarde und HSV-Edelfan Lotto King Karl mit drei Punkten für St. Pauli einverstanden erklärt, um dem Stadtrivalen die Nichtabstiegschance zu erhalten, wird klar, dass sich sowohl fußballerisch als auch verbal das Derby auf unterstem Niveau bewegt. Denn einen unverdienteren Nichtabsteiger als den FC St. Pauli gibt es einfach nicht. OKE GÖTTLICH

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