portrait: Ästhetin an den Schnittstellen
Raymond Hains, Sophie Calle, Gabriel Orozco – wer sich auf die Suche nach der kuratorischen Handschrift der Christine Macel macht, trifft auf eine lange Liste illustrer Gegenwartskünstlerinnen, aber nicht auf das ganz große Projekt. Das muss nicht heißen, dass die französische Kunsthistorikerin eine Verlegenheitslösung für die nächste Biennale von Venedig wäre oder die Frauenquote nach oben treiben soll. Vergangenen Freitag berief der Biennale-Vorstand die Chefkuratorin des Pariser Centre Pompidou zur Kuratorin der 57. Ausgabe im Frühsommer 2017.
Früh arbeitete Macel an den Schnittstellen des Zeitgenössischen. Einer der größten Erfolge der 49-Jährigen war 2011 die Schau „Danser sa vie“, die den Zusammenhang von Bildender Kunst und Tanz seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts auffächerte. Macel gehört zu den Gründerinnen der Association of Neuroesthetics (AoN), die die Verbindungen zwischen Kunst und Neurowissenschaften erforscht.
Mit der Wahl Macels will die Biennale offenbar wieder mehr auf Ästhetik setzen. „All the World’s Futures“, die Kapitalismuskritik des Nigerianers Okwui Enwezor, ihres Vorgängers, überzeugte 2015 nur wenige. Und ausgerechnet unter ihm mutierte die Biennale zu einer Art Messe, bei der die Galerien Regie führten. Aber auch Macel setzt darauf, dass „Künstler und Menschen, die sich mit Kunst auseinandersetzen“, aus dem neoliberalen System ausbrechen und sich vom institutionellen Korsett befreien.
Dass die Kunstwissenschaftlerin der in die Jahre und zweifelhafte Gesellschaft geratenen Ritualschau „neue Energien“ zuführt, wie Paolo Baratta, Chef der Biennale-Stiftung, die Wahl begründete, dafür hat sie gute Voraussetzungen. 2013, als Kuratorin des französischen Beitrags auf der Venedig-Biennale, tauschte sie mit ihrer deutschen Kollegin Susanne Gaensheimer den Pavillon, 2007 kuratierte sie den belgischen Pavillon. Im Pariser Espace 315 präsentierte sie viele junge Nachwuchskünstlerinnen. 2011 war Macel eine der Kuratorinnen der Schau „based in berlin“. Und im Centre Pompidou leitete sie viele Jahre eine Abteilung mit dem schönen Titel „création contemporaine et prospective“. Ingo Arend
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen