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Archiv-Artikel

portrait Mister Nokia mit Klima-Gewissen

Mit Atomkraft kann man weder das Energie- noch das Klimaproblem lösen. Diese Erkenntnis sorgt derzeit in Finnland für großes Aufsehen. Umso mehr, als sie aus dem Mund von „Mister Nokia“ Jorma Ollila stammt. Denn der Exvorstandschef des Telekommunikationskonzerns ist der angesehenste Wirtschaftsguru im Land der tausend Seen, in dem eine große Mehrheit in Politik und Medien auf den Ausbau der Atomkraft setzt.

Der 56-Jährige war als Konzernchef – CEO – von 1992 bis 2006 maßgeblich daran beteiligt, den Gemischtwarenladen Nokia, eine ehemalige Gummistiefelfabrik, zum erfolgreichsten finnischen Unternehmen und weltweit größten Handyproduzenten zu entwickeln. Seit Juni 2006 ist er im Führungssystem von Nokia auf den Posten eines Non-executive Chairman gerutscht, der dem eines Aufsichtsratschefs ähnelt.

In der Sonntagsausgabe der Tageszeitung Helsingin Sanomat ergriff Ollila nun Partei in der Klimafrage. Das Problem sei ihm erst so richtig klar geworden, nachdem er auch im Aufsichtsrat von Royal Dutch Shell sitze, sagt er. Denn dort gehe man schon lange davon aus, dass der Klimawandel menschengemacht sei: „Das Wissen darüber war viel größer, als ich angenommen hatte“, sagt Ollila. Die Beschäftigung mit diesem Wissen machte dem Ingenieur, der zugleich auch Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler ist, klar, dass Atomkraft keine Renaissance verdient. Und dass es sogar viel radikalerer Maßnahmen bedarf, als bisher diskutiert wurden, wenn man den Klimawandel tatsächlich verlangsamen will.

Den Handel mit Zertifikaten des Treibhausgases CO2 hält Ollila als Ansatz für sinnvoll. Aber er sei unzureichend, wenn er nicht radikaler ausgestaltet würde. So dürfe sich eine Verbrennung von Kohle zur Stromproduktion im Vergleich zu Solar- und Windkraft einfach nicht mehr rechnen.

Überhaupt ist dem Vater von drei Kindern das bislang von der Europäischen Union und den meisten Staaten vorgelegte Tempo zu langsam: „Unser Globus verkraftet das nicht.“

Wenn die Wandlung von Ollila, der laut Time zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt gehört, zum klimapolitischen Paulus auch nur annähernd solche Durchschlagskraft hat wie einst seine Cheftätigkeit auf dem Nokia-Aktienkurs, können sich die finnischen UmweltschützerInnen jedenfalls freuen. Sogar die ihn interviewende Helsingin Sanomat, die ein treues Sprachrohr der Atomlobby ist, kommt ins Zweifeln und fragt: ob Politiker und Wirtschaftsbosse wohl doch woanders Antworten suchen sollten als bei neuen Atomreaktoren?

REINHARD WOLFF