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portraitEin Rebell im serbischen Parlament

Čedomir Jovanović führte die Studentenproteste 1996–97 gegen das Regime von Slobodan Milošević an. Im Jahr 2000 redete er drei Tage lang auf den in seiner Villa verbarrikadierten bewaffneten Staatschef Slobodan Milošević ein, sich zu ergeben, und führte ihn dann persönlich ins Gefängnis ab. Er beendete die Meuterei der berüchtigten Sondereinheit „Rote Barette“. Im Namen der serbischen Regierung verhandelte er mit Exmitgliedern des Geheimdiensts und mächtigen Mafiabossen, die Polizei und Justiz kontrollierten und nach der Wende die demokratische Regierung bedrohten. Er war Vizepräsident der Demokratischen Partei (DS) und nach dem Attentat auf Reformpremier Zoran Djindjić serbischer Vizepremier. Und er ist erst 36 Jahre alt.

Čedomir Jovanović ist einer der umstrittensten Politiker in Serbien. Freunde bezeichnen ihn als Hoffnungsträger für demokratische Reformen, Feinde als eine „drogensüchtige, korrupte Marionette des Westens“. Dritte wieder halten ihn für zu unerfahren und zu naiv.

Der unbekannte Dramaturgiestudent wurde während der Studentendemonstrationen über Nacht berühmt wie ein Popstar. Verliebte Mädchen riefen dem hübschen Jungen damals zu: „Čedo, heirate mich!“

Djindjić erkannte das Potenzial und den Mut Jovanović’ und führte ihn in die Politik ein. Jovanović war bekannt als rechte Hand des Premiers – jemand, der zuständig war für die schmutzige Arbeit, die andere nicht machen wollten oder sich nicht zu machen trauten. Nach Djindjić’ Ermordung übernahm Präsident Boris Tadić den Vorsitz der DS und schloss Jovanović aus der Partei aus. Dieser hatte Tadić’ die Zusammenarbeit mit „verbohrten Nationalisten“ vorgeworfen, womit der national-konservative serbische Premier Vojislav Koštunica gemeint war. 2005 gründete Jovanović die „Liberaldemokratische Partei“ (LDP). Die jüngste Wahlkampagne führte die LDP kompromisslos, ohne Kalkül, und sie brach Tabus. Kosovo sei schon unabhängig, sagt Jovanović. Serbien müsse die Realität anerkennen und mit dem albanischen Volk eine Unabhängigkeit des Kosovo aufbauen, die auf modernen europäischen Prinzipien beruhe. Unter dem Motto „Von uns hängt es ab“ schaffte Jovanović es mit der LDP jetzt in einer Mehrparteienkoalition ins Parlament.

Die LDP setzt sich für die Rechte von Homosexuellen und die Verhaftung aller mutmaßlichen Kriegsverbrecher ein. Der allgemeinen Apathie setzt Jovanović seinen revolutionären jugendlichen Elan entgegen. Er fährt in einem gepanzerten Jeep und geht nirgendwo ohne Leibwächter hin. Zur Begründung sagt er, dass sein Leben und das seiner Familie bedroht seien.

ANDREJ IVANJI

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