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pop komm rausRetro zwischen Soft Cell und Klee: Die Musikbranche sucht verzweifelt nach einem Ausweg aus der Krise

Die Kraft der zwei Türme

Die „Kraft der zwei Türme“ also: Man versteht erst nicht, was Smudo von den Fanta 4, dieser Campino der Nullerjahre, genau mit diesem hübschen kleinen Bonmot sagen will. Doch die wie üblich vielen anderen Worte, in die er es bettet, lassen keinen Zweifel: Smudo glaubt, dass der 11. September und dazu die „Globalisierungsgegnerszene“ die nächsten Trends im Pop bestimmen würden. Es sei die Angst, die Trends setze.

Vielleicht weil alle so überrascht sind, vielleicht weil Smudo immer so viel redet, dass keiner mehr richtig hinhört: Es widerspricht ihm keiner der Mitdisputanten, die am ersten Popkomm-Tag im kleinen Auesaal des Kölner Kongresszentrums mit Smudo zusammensitzen, um über neue Trends und „Jugendszenen und ihre Bedeutung für Musik und Medien“ zu sprechen. Nicht Dieter Gorny, nicht Alexa Hennig von Lange und auch nicht BamS-Chefredakteur und Trendscout Claus Strunz. Es ist das alte Panel-Spiel: Man dreht sich im Kreis, ringt um Definitionen, kommt zu nichts, hat aber mal wieder miteinander geredet.

Strunz sagt, Trends könne man nicht planen und vorhersehen. Also gibt ihm Moderator Ickstadt zurück, sehr wohl könne man das, wenn man sich David Beckham und seinen Iro bei der WM anschaue. Die Friseure hätten den nur noch flächendeckend in ihr Angebot aufnehmen müssen, und fertig sei ein gut organisierter Trend. Dann zitiert Dieter Gorny Schönberg, Alexa Hennig von Lange sagt, für die Kleintierfreunde schreibe sie keine Bücher – und Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin behauptet in seiner Keynote unwidersprochen, in den Neunzigern hätte sich der Gegensatz zwischen Pop und Nichtpop verschärft.

Es gibt tatsächlich Trends bei der Popkomm 2002. Auch einen, der mit Angst zu tun hat, aber nichts mit der Kraft der zwei Türme. Die Branche gibt sich in diesen Tagen im vollen Bewusstsein der großen Krise. Maßhalten ist angesagt, gezwungenermaßen, allein der Umzug in andere Messehallen spricht Bände: spürbar enger und überschaubarer ist es geworden. Und Inhalte sind wieder gefragt. „Es geht um Musik. Mehr denn je“ (Tim Renner). „Wir brauchen eine größere Sensibilität für sprachlich und kulturell verfasste Vielfalt“ (Julian Nida-Rümelin). „Zurück zur Musik, bitte“ (Gregor Stöckl von Virgin). „Wo sind die echten Künstler? Wo sind die glaubhaften Acts? Da wo Rock ist.“ (Die Plattenfirma Island Mercury).

Ja, es wird wieder hart gearbeitet, auch an den Ständen. Kaum ist man vorgestellt worden, schon preist die Promotionchefin von der Mercury innerhalb von ein paar Minuten eine ganze Reihe ihrer Acts an: Das Berliner Konzert von U 2 war riesig; Ryan Adams ist ein Wahnsinnstyp; wenn ihr mal ein tolles Interview machen wollt, dann mit Lionel Richie, der ist so eloquent und witzig. Und, man müsse doch mal objektiv sein, ganz objektiv, aber die Songs von Bon Jovi, die sind einfach gut.

Beim Eröffnungskonzert glaubt man dann, die Krise geradezu sehen zu können. Sehr, sehr zäh füllt sich das E-Werk mit Publikum, gegen 23 Uhr wird nicht mal mehr kassiert am Eingang. Das könnte aber auch am Setting liegen. Soft Cell als Hauptact, frisch aus den frühen Achtzigern, das widerspricht allen Vorsätzen von echter Musik, langfristigem Künstleraufbau und Nachhaltigkeit (auch dieses Wort fällt hier!). Der Trend mit den Achtzigern muss eben schnell noch mitgenommen werden.

Vor Soft Cell spielt eine Band namens Klee. Diese besteht aus einer Frau, die im engen weißen Kleidchen eine Mischung aus Blondie und Inga Humpe gibt, und zwei männlichen Statisten an Gitarre und Keyboard. Ein Spliff-Cover zu Beginn, ein paar Synthiepopnummern, ein Song, der „Erinner dich“ heißt und offizieller Popkommsong ist: brand new retro in Köln.

Gut aber, dass ehrliche und harte Arbeit sich auch lohnt: So feierte man bei der EMI schon ein paar Tage vor der Popkomm ein kleines Fest, weil, wie die nette Promoterin am Telefon mitteilte, „der Herbert ist doch auf eins gegangen!“

GERRIT BARTELS

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