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politisches theater, boulevardzeitungen etc.Die „B. Z.“ verleiht dem Theaterintendanten Claus Peymann einen Kulturpreis

Reißzahn gezogen

Claus Peymann hat den diesjährigen Kulturpreis der Berliner Gazette B. Z. bekommen. Das zwingt uns, Peymannns viel zitiertes Amtsantritts-Bonmot vom Reißzahn, den er als Intendant des Berliner Ensembles ins Regierungsviertel schlagen wollte, noch einmal aufzuwärmen. Denn einen Reißzahn, den versucht ja nun auch die B. Z. beinahe täglich ins Regierungsviertel zu schlagen. Man erinnere sich an den letzten Sommer, als über die Grünenminister Fischer und Trittin wie über Verbrecher geschrieben wurde und die Anti-68er-Hetzkampagne selbst Peter Boenisch zu viel wurde, dessen Bild-Zeitung einst gewiss nicht durch große 68er-Nähe aufgefallen war. Boenischs kritische Äußerungen („Wir waren keine Waisenknaben“) führten übrigens dazu, dass er seinen Stuhl im Springer-Aufsichtsrat verlor.

B. Z.-Chefredakteur Georg Gaffron steht für alles, was politisches Theater, dem Peymann sich angeblich immer noch verpflichtet fühlt, zutiefst zuwider sein müsste: dumpfe, populistische Stimmungsmache am rechtsäußeren Rand. Selbst die angestammte B. Z.-Klientel findet Gaffrons dumpfe Töne offensichtlich zunehmend unangenehm, weshalb die B. Z. an Auflage verliert. Soll Peymann jetzt für neue Leser werben?

Peymann klagt schon länger darüber, dass in Berlin nur noch die Boulevardpresse zu ihm hält. Müssen wir sagen: aus gutem Grund? Zu Wiener Burgtheaterzeiten hätte Peymann von Peter Turrini oder Elfriede Jelinek noch Stücke gegen Leute von Gaffrons Schlag schreiben lassen, aus deren Händen kein seriöser Theatermensch je einen Preis entgegennehmen würde. Hat er das bloß aus Publicity-Gründen getan? Wirft Peymann sich jetzt dem einstigen politischen Gegner in die Arme, weil ihn in Berlin sonst niemand mehr liebt?

Die neuen Jungs bei Springer haben Peter Boenisch Altersmilde vorgeworfen. Wie altersmilde erst ist inzwischen Claus Peymanns politisches Theater geworden, wenn er sich damit 2002 den B. Z.-Kulturpreis verdient. Warum das überhaupt noch einen Kommentar wert ist? Vielleicht, weil wir die Letzten sind, die Claus Peymann gern noch ernst nehmen würden. ESTHER SLEVOGT

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