piwik no script img

planespotting von RALF SOTSCHECK

Der Engländer an sich ist ein merkwürdiges Volk. Er sitzt im langen Regenmantel auf einem einbeinigen Anglerstuhl am Ende eines Bahnsteigs und hakt die Seriennummern von Lokomotiven in einem Oktavheft ab. „Trainspotting“ nennt man dieses eigenartige Hobby, das durch den gleichnamigen Film weltberühmt geworden ist.

Die verschärfte Variante ist „Planespotting“. Auf den Landstraßen an englischen Flughäfen parken rund um die Uhr Autos mit Flugzeugfanatikern, die das Objekt ihrer Begierde durch Ferngläser beobachten. Man sollte meinen, dass eine Boeing 737 spätestens nach dem hundertsten Exemplar ein wenig an Reiz verliert, doch dem Planespotter kommt es auf die Flugzeugnummer an. Die Landstraßenspäher sind freilich Amateure. Der wahre Fan reist in der Welt herum, besucht Luftfahrtausstellungen und macht sich eifrig Notizen.

Das ist einer Gruppe von acht Engländern zum Verhängnis geworden. Voriges Jahr flogen sie nach Kalamata in Griechenland, wo die griechische Luftwaffe ihr Arbeitsgerät der Öffentlichkeit vorstellte. Reiseveranstalter war „Touchdown Tours“, die Firma des 46-jährigen Paul Coppin. Er und seine geistesverwandten Kunden notierten begierig die Nummern der Militärmaschinen und freuten sich, zu Hause im „Planespotters Handbook“ viele Haken anbringen zu können.

Die Griechen, die lieber Retsina trinken, als Flugzeuge anzustarren, hatten noch nie von diesem ulkigen Hobby gehört, verhafteten die englische Gruppe und verknackten sie zu drei Jahren Gefängnis wegen Spionage. Die Engländer argumentierten vergeblich, dass die Informationen in einschlägigen Zeitschriften zugänglich seien. Staatsanwalt Nikoloas Pandelis ließ das nicht gelten: „Diese Zeitschriften werden ja von Planespotters geschrieben. Genauso gut könnte ein Vatermörder um Gnade winseln, weil er gerade Halbwaise geworden ist.“ Er räumte zwar ein, dass die Angeklagten durchaus „nette Leute“ seien, aber das sei das Perfide an ihnen: Sie entsprächen in nichts dem typischen englischen Agenten James Bond. Außerdem legte er einen Brief der „British Aviation Enthusiasts Society“ vor, aus dem hervorging, dass Touchdown Tours keine anerkannten Planespotters seien. Offenbar muss man dafür bestimmte Kriterien erfüllen.

Nach sechs Wochen Gefängnis wurden Coppin und seine Reisegruppe gegen Kaution entlassen, neulich fand die Berufungsverhandlung statt. Inzwischen hatte sich der Richter kundig gemacht und überrascht festgestellt, dass Planespotting in England tatsächlich grassiert. Er sprach die Angeklagten ein Jahr nach ihrer Verhaftung frei. Coppin stellte freudig fest, dass die diesjährige Luftwaffenausstellung noch lief, und fuhr schnurstracks nach Kalamata. Schließlich war dort zum ersten Mal in Europa ein texanisches Übungsflugzeug T-6 zu sehen. Der Ausstellungschef und Hauptbelastungszeuge Nektarios Samaras wurde blass vor Wut ob dieser Provokation und empfahl Coppin, künftig die Seriennummern von Haushaltsgeräten zu notieren. Das sei unverdächtiger und genauso spannend.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen