pickpockets: Pop, Poesie und überhaupt das wilde Leben – was vom Rock übrig blieb
The Beat goes on
Von der einstmals subversiven Sprengkraft der Rockmusik ist außer Sex and Drugs nicht viel geblieben. Doch hat die Popmusik inzwischen „so viele Aspekte unseres Lebens durchdrungen, sie ist überall“, ist eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit und längst auch literarischer Stoff geworden.
Darauf weist Salman Rushdie im Hinblick auf seinen Roman „Der Boden unter ihren Füßen“ hin, der ja unter anderem eine fiktive Geschichte der Popmusik ist. Und Václav Havel, der mit niemand Geringerem als Frank Zappa gut befreundet war und gelegentlich die Rolling Stones empfing, erinnert daran, dass diese Musik für die Destabilisierung des Kommunismus keine geringe Rolle gespielt hat. Diese Interviews finden sich in dem aufschlussreichen Band „Pop, Poesie und Politik“, in dem neben Sting, T. C. Boyle oder John Irving allerlei einschlägige Prominenz zu Wort kommt.
Die Akzeptanz der Rockmusik als integrales Kulturferment lässt sich auch daran ablesen, dass in die (zumeist) grundsolide Biografien-Reihe „dtv-portrait“ inzwischen nicht nur Chopin und Bach, sondern jetzt auch mit John Lennon und Jimi Hendrix zwei der großen Toten des Rock aufgenommen worden sind. Beide Bände, von der Journalistin Corinne Ullrich verfasst, machen noch einmal deutlich, dass Lennon wie Hendrix keine musikalischen Fachidioten waren und eben deshalb weit über die musikalische Szene hinaus Wirkung erzielen konnten.
In einem Newsweek-Interview hatte beispielsweise Hendrix kurz vor seinem Tod angekündigt, sich für eine Weile aus der Musikszene zurückziehen und Theaterstücke schreiben zu wollen – müßig, darüber zu spekulieren, ob das Koketterie oder ernste Absicht war.
Umgekehrt ist das Lebensgefühl des Rock ’n’ Roll mit seinen Ekstasen und Katastrophen längst in die Literatur eingewandert. Popromane gibt es inzwischen mehr als Gitarrenriffs, zum Beispiel „Tagebuch einer Gefühlsidiotin“ von Maggie Estep. Schrill, obszön und dennoch anrührend wird die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die sich als Gelegenheitsbassistin und Pornoautorin durch die einschlägige Szene von Greenwich Village schlägt und schläft. Hinter dem abgebrühten, rüden Ton der Ich-Erzählerin Zoe, die ihre Promiskuität als „serielle Monogamie“ versteht, verbirgt sich allerdings eine ziemlich altmodische, offenbar aber auch zeitgeistresistente und krisenfeste Sehnsucht – nämlich die nach Liebe und Zärtlichkeit.
Auch wenn Texte wie dieser sich entschieden gegenwartsbezogen geben und die älteste Vergangenheit die Erinnerung an Led Zeppelin ist, steht auch Maggie Estep in einer literarischen Tradition, nämlich der so genannten Beat-Generation. In einer Anspielung auf William S. Burroughs wird das explizit deutlich, und implizit lässt es sich zeigen, vergleicht man bestimmte Passagen mit Jack Kerouacs „Traumtagebuch“ von 1961. Hier ist bereits alles vorhanden: die von Halluzinogenen befeuerte Seligkeit des Augenblicks, die enthemmten Sexfantasien und die nur scheinbar unkontrollierte Atemlosigkeit eines Schreibstils, der den Synkopen des Jazz und den Spannungsbögen des Rhythm ’n’ Blues nachempfunden ist und also nicht nur von Musik spricht, sondern gewissermaßen wie Musik zu sprechen versucht.
Auch die deutsche Gegenwartsliteratur hat sich zu nicht unerheblichen Teilen aus Geist und Rhythmus der Popmusik nachhaltig erfrischt. Thomas Meinecke etwa, der als Rockmusiker begann, verbindet in seinen Büchern literarische Traditionen mit Tempo und Struktur des Technopop und beweist ganz nebenbei, dass der uralte und dummdeutsche Gegensatz zwischen U und E, Pop und Seriosität also, tatsächlich keiner ist.
Meineckes Roman „Tomboy“ vermischt so auf überaus amüsante Weise deutsche Kultur- und Wirtschaftsgeschichte mit akademischen Absurditäten der so genannten „gender studies“, wobei die Erzählstruktur der des Sampling abgelauscht ist – der Roman baut sich in der gleichen Weise auf und zusammen, wie ein Diskjockey aus verschiedenen Schallplatten eine kohärente Atmosphäre aufbaut. KLAUS MODICK
Martin Scholz/Axel Vornbäumen (Hg.): „Pop, Poesie und Politik“. Fischer TB, 192 Seiten, 18,90 DMCorinne Ullrich: „John Lennon“. dtv-portrait, 159 Seiten, 16,50 DMCorinne Ullrich: „Jimi Hendrix“. dtv-portrait, 159 Seiten, 16,50 DMMaggie Estep: „Tagebuch einer Gefühlsidiotin“. rororo, 285 Seiten, 14,90 DMJack Kerouac: „Traumtagebuch“. rororo, 223 Seiten, 14,90 DM.Thomas Meinecke: „Tomboy“. suhrkamp tb, 251 Seiten, 16,90 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen