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philipp maußhardt über KlatschZwölf Stunden vor der Tür

Es hätte eine so schöne Geschichte sein können – aber Frauen aus Detmold sollten sich besser nicht in Stars verlieben

Einmal, da stand ich einen geschlagenen Tag lang vor der Türe einer Frau aus Detmold und versuchte, sie zum Reden zu bewegen. Abwechselnd drückte ich den Klingelknopf, dann rief ich auf ihrem Telefon an. Als alles nichts half, schrieb ich ihr einen Brief und schob ihn ihr unter der Haustüre durch. Denn sie war zu Hause, das wusste ich. Ich hatte sie in ihre Wohnung hineingehen sehen. Aber sie reagierte nicht. Ich hörte nur ihre Schritte hinter der Türe. Sie wollte nicht sprechen, obwohl ich mein Terrorhandwerk ganz gut verstehe. Ich habe ihr sogar Geld geboten. Nach zwölf Stunden Dauerbombardement gab ich auf und fuhr zusammen mit dem Fotografen aus Detmold wieder ab.

Es hätte eine so schöne Klatschgeschichte sein können. Ein Anonymus hatte in einem Brief diese Frau als die Exgeliebte von Rex Gildo selig („Hossa, Fiesta Mexicana“) geoutet. Der Brief begann mit dem Satz: „Ich habe eine Story für Sie, die Sie bestimmt interessieren wird.“ Rex Gildo galt zwar als schwul, hatte aber trotzdem (?!) immer mal wieder Frauentechtelmechtel. Und eben aus so einem Techtelmechtel sei ein Kind entstanden, das nun, achtjährig, allein bei seiner Mutter aufwachse und nach dem Tod des Sängers auch keinen Unterhalt mehr bekomme. Sie habe den kleinen Rex bislang geheim gehalten. Dem Brief war ein Foto des Jungen beigelegt. Es liegt noch immer bei mir in der Ablage für „unerledigte Fälle“. Das Kind hält eine gelbe Schultüte im Arm und steht neben einem anderen Jungen, der gerade in der Nase bohrt.

Mein Gott, was für eine Frisörgeschichte! Ein Star verleugnet jahrelang sein eigenes Kind, stirbt, und nun stehen Mutter und Sohn arm und verlassen in der Welt. Ein Schuft, dem da keine Tränen kommen. Natürlich hätte ich diese „Story“ sehr einfühlsam geschrieben. Wie die Liebe zwischen den beiden im Geheimen zu blühen begann, wie er sie nach einem Konzert im Hotel verführte, ihr alles versprach und sie sich Hoffnungen auf ein Leben fern von Detmold machte. Als sie wusste, dass sie schwanger war, rief sie Rex an. Der aber reagierte kühl. Er ließ sie ein Dokument unterschreiben, niemals den Vater zu nennen. Dafür bezahlte er großzügig Unterhalt. Aschenputtels Traum und Albtraum. Man hätte daraus viel lernen können. Dass Geld und Ruhm nicht glücklich machen. Dass es besser für viele Frauen aus Detmold und Iserlohn wäre, sich nicht in einen Star zu verlieben. Dass sie als Backwarenaushilfsverkäuferin doch zufrieden sein sollen. Vor meiner Detmolder Belagerung hatte ich sie einmal am Telefon. Sie klang überrascht. Woher ich das mit dem Kind wisse? Ja, es sei von Rex. Nein, sie hasse ihn nicht dafür, sie liebe ihn noch immer. Jeden Monat schicke sie Blumen an sein Grab. Ja, ich könne vorbeikommen.

Als ich am anderen Morgen in Detmold vor dieser grauen Mietskaserne stand, ahnte ich schon das Desaster. Sozialer Elendsbau, Ein-Zimmer-Wohnungen, aufgebrochene Briefkästen, viele Klingelschilder ohne Namen. Sie machte einfach nicht auf. „Haben Sie dieses Kind hier schon einmal gesehen?“ Ich zeigte das Foto herum und fragte Nachbarn und die Hausmeisterin, die mich für einen Kriminalpolizisten hielt. Niemand kannte den kleinen Rex. Ich klopfte gegen die Türe: „Machen Sie auf, wir können doch über alles reden.“

Als der Postbote wieder weg war, fischte ich aus ihrem Briefkasten einen Umschlag ihrer Bank mit den Kontoauszügen. Hoch verschuldet. Ratenzahlungen. Zeitschriftenabonnement Echo der Frau. Sozialhilfe. Sie tat mir Leid, ich sah sie vor mir. Nichts hatte in ihrem Leben funktioniert, nicht einmal ein kurzes Liebesabenteuer mit einem Star. Stattdessen saß sie hinter grauen Gardinen und betrank sich. Über ihrem ausziehbaren Coachbett hing ER, der Unerreichbare. Sie hätte ein Kind von ihm. Ein Traum, der für sie immer wirklicher wurde. Einmal im Echo der Frau zu stehen, einmal Aufmerksamkeit erheischen, einmal zu wissen, dass man gelebt hat. Immerhin hat sich ein Klatschreporter einen ganzen Tag vor ihrer Türe um sie gekümmert.

Und auf einmal fiel mir die Frau aus Hamburg wieder ein, die mich über Monate anrief, um zu erzählen, wie Thomas Gottschalk sie verfolgt. Er habe sogar an ihrem Arbeitsplatz anrufen lassen und sie schlecht gemacht. Darum seien jetzt alle Kollegen nicht mehr gut zu sprechen auf sie. Ob ich ihr nicht helfen könne? Natürlich wollte ich helfen. Ich versprach, einen Artikel vorzubereiten, wie Gottschalk harmlose Frauen belästigt und dass er das nicht mehr tun soll. Ich bat sie aber darum, nicht ungeduldig zu werden, weil so ein Artikel gut recherchiert werden müsse und das einige Zeit brauche. Seither rief sie nicht mehr an.

In Österreich lebt eine junge Frau, deren Verwandte schwören, sie sei eine Tochter von Fürst Rainier von Monaco. Die Geschichte muss nur noch geschrieben werden. Der russische Zar soll ja auch und vom belgischen König weiß man, dass er eine uneheliche Tochter in London hat. Dass ist Klatsch aus allerbestem Stoff. Heimliche Kinder von Prominenten. „Ich bin Hitlers Sohn!“ Dabei hätte es für mich Rex Gildo schon getan.

Fragen zu Klatsch?kolumne@taz.de

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