philipp maußhardt über Klatsch: Lang lebe Onkel Arthur!
Einmal im Jahr kommt ein Päckchen aus Basel. Drinnen tickt etwas: das Herz des erfolgreichsten Filmproduzenten
Die kleine Uhr auf meinem Schreibtisch hat die Form eines Regiestuhls, in deren Lehne die Zeit digital angezeigt wird. In diesem Moment genau „7=06“ (morgens!). Unten, im Schlafzimmer steht auf dem Hocker neben dem Bett ein Reisewecker der Firma Ebel, sehr edel, ein Nachbau aus dem Jahr 1920. Aber die Uhr, die ich jedem zeige, wenn er zum ersten Mal die Wohnung betritt, hängt in der Küche. Ein Ungetüm von einer Uhr, Durchmesser gut ein halber Meter und dick wie die Gesamtausgabe des Berliner Telefonbuchs.
Zu jeder vollen Stunde öffnen sich an der Seite zwei Schiebetüren, dann fahren jeweils zwei Musikanten heraus und spielen zu stündlich wechselnden Melodien ihre Instrumente. Dazu blinken gelbe, grüne und blaue Lichtlein. Besonders um 16 Uhr denke ich an Arthur Cohn, den edlen Spender all dieser Uhren. Dann spielt in der Küche das Lied „Von Luzern uf Wäggis zue“, und mir fällt der Nachmittag wieder ein, als ich diesen Mann im Restaurant der Basler Kunsthalle traf. Wir aßen Fisch, das heißt, ich aß, er redete über seine neuen Filmprojekte. Arthur Cohn ist Filmproduzent. Der erfolgreichste Filmproduzent der Welt. Jedenfalls daran gemessen, wie viele Oscars seine Filme schon erhielten: sechs. Zum Abschied ließ Cohn per Taxi aus seinem Büro ein in Geschenkpapier eingewickeltes Paket anfahren, jenes Uhrenungetüm eben, das ihn mir seitdem zu jeder vollen Stunde unvergesslich macht. Erst war es mir peinlich. Denn es roch ein wenig nach Bestechung. Doch den Gedanken schob ich schnell beiseite.
Ich hätte auch ohne die Uhr freundlich über ihn geschrieben. Im Filmgeschäft der Eitelkeiten gibt es schließlich nicht viele Menschen, die so echt geblieben sind wie Arthur Cohn. Der, was seine Privatsphäre angeht, sehr zurückhaltende Hollywood-Produzent hat sich auf seine Weise gegen die in seiner Branche übliche Schnelllebigkeit von Beziehungen gewehrt. Einmal angedockt, lässt Arthur Cohn nicht mehr los, wen er mag. Er vergisst keinen Geburtstag, ein kurzer Krankenbesuch ist ihm schon mal einen Flug von Zürich nach Boston wert. Kurz vor Weihnachten kommt immer „das Päckchen von Onkel Arthur“, wie der kleine Henri sagt, der ihn noch nie gesehen hat, aber große Stücke auf ihn hält. Cohns Ohren sind jeden Abend heiß vom Telefonieren. Der United Parcel Service wäre ohne diesen Mann schon längst pleite. Wer Arthur Cohn verletzen will, muss nur die Behauptung aufstellen, seine Oscar-Erfolge (zuletzt mit dem Dokumentarfilm „Ein Tag im September“) hätte Cohn durch seine Geschenke nur erkauft. Großzügigkeit ist gefährlich in einer Welt, die missgönnt. Vor allem irritiert die Großmut, wenn einer sie gar nicht nötig hat. Denn nach den Gesetzen der Speichellecker müsste nicht Cohn andere, andere müssten Cohn hofieren, damit er sie an sein Tischlein bittet. Darum wirkt der große alte Mann aus Basel, der nur sparsam ist, was die Angabe seines eigenen Alters angeht, auf den Gesellschaftspartys hierzulande oft wie ein Exot. Er redet mit „unwichtigen“ Leuten. Er schaut vom Rand aus dem Treiben zu. Er lächelt, selbst ohne Blitzlicht.
Cohns Freundin Liv Ullmann hat ihn einmal „ein Herz auf zwei Beinen“ genannt. Seine Komplimente an anwesende Frauen klingen so altmodisch schön. Er weiß, wie man mit Worten streichelt, und doch käme wohl keine Frau auf die Idee, sich bei diesem Mann eine Filmrolle erschlafen zu wollen. Und wenn sie auf die Idee käme, Cohn würde wohl noch diese Aufdringlichkeit irgendwie höflich ablehnen und ihr an Weihnachten eine Uhr schicken, vielleicht in Form eines Himmelbetts. Jedenfalls stelle ich mir ihn so vor, weil ich glauben will, dass es solche Menschen noch gibt. (Hoffentlich ruft mich jetzt nicht seine Frau an und sagt, es sei alles ganz anders.)
Das Privateste, was Cohn mir von sich selbst erzählt hat, war sein Verhältnis zu seinen Eltern Marcus und Rose Cohn. Er ein glühender Zionist und Mitbegründer des Staates Israel, sie Autorin am legendären Schweizer Kabarett „Cornichon“. Arthur Cohn wünscht sich zur eigenen Beerdigung einmal nur den Satz: „Er war ihr würdiger Sohn.“ Jetzt klingt es fast schon wie ein Nachruf, dabei lebt er doch noch quietschfidel! Um Gottes willen: Lang lebe Onkel Arthur!
Mein Großvater, der seine Umwelt allerdings weniger mit Geschenken als mit selbst verfassten christlichen Traktaten beglückte, war der Meinung: „Man muss um die Menschen so lange mit Liebe herumgraben, bis sie in das Loch hineinfallen.“ Dabei hat er Arthur Cohn gar nicht gekannt.
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