philipp maußhardt über Klatsch: Es muss einen Kiosk im Himmel geben
Dieter Bohlens Streben nach Ewigkeit oder Wie unser Bobbele die Ehre intellektueller Tiefseetaucher gerettet hat
Triumph des Willens. Jetzt hat sie uns allen, die wir sie wegen ihrer Uneinsichtigkeit verachteten, eine lange Nase gezogen. Leni Riefenstahl ist 100 geworden. Kein Sieg des Glaubens, eher einer Niederlage des Wissens und des Nicht-wissen-Wollens. Ihre Rolle als Propagandafilmerin im Nazireich hat sie nie selbstkritisch hinterfragt. Vorwärts und vergessen. Zur Geburtstagsparty am Starnberger See kamen denn auch die, die jetzt nicht gerade als intellektuelle Tiefseetaucher bekannt sind: Uschi Glas, die zerbrechliche Ikone, und Leo Kirch, der nicht mehr mächtig, sondern nur noch reich ist. Und die beiden Society-Kasperle-Figuren Siegfried und Roy. Siegfried musste natürlich schon seines Namens wegen kommen. Zigeuner waren keine eingeladen. Die für ihren Film „Tiefland“ aus dem KZ geholten Komparsen wurden keine 100 Jahre alt.
Was Reinhold Messner dort suchte, habe ich nicht so recht verstanden, aber den Bergsteiger verbindet wahrscheinlich das „Muss-aufi-muss-aufi“ mit dem „Muss-abi-muss-abi“ der Taucherin Riefenstahl. Wie auch immer: Der wichtigste Gast fehlte unentschuldigt. Boris Becker, obwohl eingeladen, kam einfach nicht und hat nicht einmal abgesagt. Die riefenstahlsche Festgesellschaft schrieb das seinen fehlenden Manieren zu. Ich aber glaube, Boris Becker hat sie damit strafen wollen für ihre verdammte Lebenslüge. Das glaube ich ganz fest, jawoll. Boris ist aus Protest nicht erschienen. Mit seiner Absenz hat er Leni Reifenstahl dafür bestraft, dass sie nie ein Wort darüber verloren hat, wie Bilder töten können. Danke, Boris! Manchmal kommen eben nicht die, die man erwartet, und manchmal ist eben nicht das drin, was draufsteht. Bei Maybach auch. Dieser neuen „Highend-Limousine“, wie die Marktstrategen das Luxusauto ab 350.000 € aufwärts nennen. Was ein schönes neues Wort: „Highend-Limusine, sprich Haiendlimusihne. Das hohe Ende. Die oberen zweitausend. Im Gegensatz zur „Lowend-Karre“, Fiat oder Lada. Als DaimlerChrysler jetzt den neuen Maybach im Laden den Journalisten vorstellte, sollte natürlich alles ganz edel sein und vornehm zugehen. Der Laden hieß natürlich auch nicht Laden, sondern „Center of Excellence“. Und dann schaut doch so ein Vollidiot von Schreiberling in den Küchenschrank hinter dem Kaffeeautomaten und entdeckt, dass im „Center of Excellence“ bei der Präsentation der „Highend-Limousine“ die Milch vom Aldi kommt. Ja, Scheißele.
Misstrauen ist ganz anderswo angebracht. Hat eigentlich niemand nachgezählt, wie viele Tage es um Dieter Bohlen still geworden war, ehe er jetzt mit seinem nächtlichen Schuss und der nackten Flucht seiner Estefania (23) durch den Garten der Villa in Tötensen wieder für drei Tage die Bild-Schlagzeilen holte? Estefania habe geglaubt, Einbrecher seien im Haus und jetzt „tötensen“. Aber es war ja dann doch nur die Polizei. Ja, genau 53 Tage. So lange dauert der bohlensche Zyklus. Dann kommt das Blut. Dann muss er schießen oder verlassen oder Krebs kriegen oder heiraten. Egal. Wenn Dieter Bohlen nicht alle 53 Tage seinen Namen in der Zeitung liest, glaubt er, er sei tot. Hoffentlich gibt es im Himmel dereinst einen Zeitungskiosk.. Darinnen sitzt der Engel Lady Di und verkauft den Heaven Mirror.
Schon fünf Jahre tot – und vergessen. Noch vor vier Jahren schickte mich eine Redaktion nach Paris, den letzten Tag von Diana noch einmal nach zu vollziehen. Ich ging Mittag essen im Ritz, wie sie. Ich sah mir die Auslagen der teuersten Juweliere an, wie sie. Abends fuhr ich durch den „Pont de L’Alma“-Tunnel. Aber nicht wie sie. Am Pfeiler 11 geradeaus. Es entstand ein dianalytischer Artikel mit sehr viel Einfühlungsvermögen. Heute fällt es mir schon schwer, mich an Details zu erinnern, dabei hatte ich vier Tage nach ihrem Tod sogar ins Diana-Kondolenzbuch in London geheuchelt: „I’ll never forget you“. Heute, stelle ich mir vor, liegen hunderte von Diana-Kondolenzbüchern im vierten Kellergeschoss des Buckingham Palace unter einer Staubschicht, und ein Butler wirft ab und zu einen Plastikstrauß Rosen auf den Haufen, den ein Diana-Fan an der Pforte abgegeben hat. Übrigens nimmt die königliche Internetadresse (http://www.royal.gov.uk/) keine Beileidsschreiben mehr an.
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