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peter unfried über Die ChartsWenn sie doch alle Kandahar Girls wären!

Woher dieser Hass? Warum es nicht mehr okay ist, ein Bild des Kriegssängers Paul McCartney im Flur hängen zu haben

In meinem Flur hängt das Bild von McCartney nicht mehr.

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Paul McCartney. Komponist, Texter und Bass-Spieler. Veränderte einst – aber klar doch – die westliche Welt. Macht seither alle Schaltjahre ein nettes Poplied.

Das Bild hing immer im Flur. –Und zwar so, dass Mc Cartney mit dem linken Daumen Richtung Klo zeigt. Capito? Ironische Distanzierung. Es hängt dann ein bisschen leichter. Und nicht nur deshalb, weil McCartney einer von drei Eckpfeilern meines Lebens ist (vgl. Paperback Writer, Penny Lane, Band on the Run).

Seit den Ereignissen im Madison Square Garden, New York, hängt das Bild nicht mehr. Und der Grund ist ja wohl klar: McCartney aus Liverpool, England, macht jetzt Truppenbetreuung. „Freedom“ ist der Titelsong zum Soundtrack für einen amerikanischen Krieg, zu dem das halbe Rock-Establishment salutiert.

Wozu, wenn nicht für solche Sachen, gibt es Countrymusik? Falls sich noch einer erinnert: Rock, Rebellion, Anti-Establishment. Pop, Ironie, Avantgarde? Von Woodstock (Gegenkultur) über Band Aid (Solidarität, Hilfe und Promotion) und Woodstock II (Abzocke) zu New York (Krieg an der Seite George W. Bushs). Nicht mit dem Hilfskonzert für New York, sondern mit der Art und Weise, wie man da aufgetreten ist, hat die Mumie Mainstream-Rock sich selbst der Verwesung anheimgegeben. Isn’t it widerlich? Yes, Sir Paul, it is.

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Und so nehme ich (vermutlich als Letzter) in einer eiskalten Novembernacht meinen ganz persönlichen Abschied. Mit dem Unternehmen: „Rockin’ in the free world – die letzte Nacht der amerikanischen Musik.“ Die kickt off mit hundertprozentig proamerikanischen Songs: „America“, Neil Diamond.: „Land of the free, for thee I sing“.

Dann etwas differenzierter: „Born in the USA“. Und Jackson Browne: „For America“ („We’re gonna reap what we have sown“). Antiamerikanisch? Ach. Der Tenor ist: Von Amerika hätte man mehr erwartet.

Dann die Außensicht. „Breakfast in America“ (Supertramp): Die Weiber anderswo sind nicht das Wahre. Amerika dagegen: See the girls in California! Pars pro toto, versteht sich. Die Sehnsucht brennt spätestens bei „Bobby Jean“. Springsteen: „Baby,vielleicht bist du jetzt da draußen, irgendwo auf der Straße, in irgendeinem Motelroom, ich will dir nur sagen blablabla.“ Und Clarence spielt das Saxofon.

Und, Mister Bin Laden, sehen Sie: Bei aller Kritik passiert vor allem eins: Es wird beschworen, dass dieses gottverdammt geliebte weite Land allein und einzig auf der Welt ist. Und Ihr Problem ist: Es wirkt. Good luck, goodbye, Bobby Jean. Da läuft es einem doch schon wieder kalt den Rücken hinunter.

Und damit sind wir bei der Nummer 1 für Amerika. Doors-Pianospieler Ray Manzarek kriegte 1979 fünf Sterne im Musik Express für das Album „Golden Days, Diamond Nights“ seiner Band Nite City. Höhepunkt ist tatsächlich der Song „America“, wo der Held wie üblich die frontier gen Westen ausdehnt und zum glücklichen Ende den Highway Number One runterfährt und dann jubelt:

Sure feels good to be in America,

sure feels good to live in America

sure feels good to love in America

sure feels good to FUCK in America (male-amerikanisches Gitarrensolo).

Ganz ehrlich, Ussama, das fühlt so gut. Das fehlt dir. Ein Song, der Qualitäten definiert und Wertmaßstäbe transportiert: „Verhüllte, verhüllte, verhüllte Girls. Ich wünschte, sie wären alle verhüllte Girls.“

Das wäre ironisch, das wäre provokant, das wäre Pop. Vor allem: Das würde global understanding befördern. Davon singen, wie die jungen Leute in Quetta den Juni kaum erwarten können. Wie sie im Hindukusch schon ihr afghanisches Gebirgsboard wachsen. Und dann heißt es: „Surfin’ Kandahar“.

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Habe den alten Witwer aus Liverpool wieder an seinen Platz zurückgeführt. Ist es nicht irgendwie sogar von tiefem Symbolismus oder zumindest billiger Ironie, einen amerikanischen Kriegssänger hängen zu sehen? Außerdem ist da dieser furchtbare Verdacht: Eigentlich müsste man mal sein eigenes Bild abhängen. Von Amerika.

Aber wie? Beim Hören von „Star Spangled Banner“ kommt die Wahrheit ans Licht: Wir Kinder der Kinder von Woodstock können die Flagge mit dem guten, alten, mausetoten Jimi verbrennen so oft es uns gefällt – der Eid auf Amerika ist geschworen. Mit Prefab Sprout singen wir: „Hey Manhattan, doobie doo“. Die Mythen, die Mythen, „we live them, till they’re true“. Ironisch, aber wahr.

Golden days on America,

dimond nites on America.

Shine on, shine on America.

P.S. Eine amerikanische Nacht später: Amerikas Lied singen ist das eine. Amerikas Kriegslied zu jubilieren etwas anderes. Habe McCartneys Bild verbrannt. Sicher ist sicher. Zu den Klängen von „Pipes of Peace.“ Und „Fool on the Hill“.

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