performance des tages: christian vieri, todunglücklicher torschütze:
Der Fußball schlägt manchmal eigenartige Kapriolen. Als Christian Vieri 1998 zu Lazio Rom wechselte, stieg plötzlich der Milchpreis in der Stadt. Der Präsident und dessen Sohn, ein Molkereiunternehmer, wollten ein paar Lire von den 40 Milliarden wiederhaben, die sie in die Neuerwerbung Vieri investiert hatten. Als Vieri gestern die Chance zum Siegtreffer auf dem Schlappen hatte, stieg nur der Puls der Tifosi in Schwindel erregende Höhen. Es ging um ein verpasstes Tor. Vieri, der Stürmer, brauchte in der 90. Minute nur den Ball ins leere Tor einzuschieben – und hätte damit beide Treffer seiner Mannschaft erzielt. Und, viel wichtiger: das Viertelfinale gesichert. Doch der 28-Jährige ließ den Ball über den Spann seines rechten Fußes schlüpfen und hielt den Schlagtakt der italienischen Herzen auf höchster Frequenz – bis zum Golden Goal der Südkoreaner.
Das Führungstor zum 1:0 hatte er in der ersten Halbzeit per Kopf nach einer Ecke in den Kasten gewuchtet, obwohl der koreanische Verteidiger an seinem azurblauen Trikot zerrte. Gerade wegen seiner physischen Präsenz wird Vieri, 86 Kilo schwer, in ganz Europa als durchsetzungsfähiger Angreifer geschätzt, der nicht wie seine Kollegen Totti und Del Piero bisweilen an Fallsucht leidet. Totti bekam im Spiel gegen Südkorea im Strafraum einen symptomatischen Rückfall und wurde von Schiedsrichter Moreno wegen Elfmeterschinderei mit Gelb-Rot vom Platz gestellt (116.). Vieris aufrechter Spielweise huldigend, verpassten ihm seine Mitspieler in Jugendzeiten den Spitznamen „das Monster“. Heute lässt sich der gebürtige Bologneser lieber „Bobo“ nennen, in Erinnerung an seinen Großvater, der ihn zum Fußball brachte.
Vor seiner Zeit bei Inter Mailand vagabundierte Vieri rastlos von Klub zu Klub. Vielen Kickern schadet der ständige Umzug, nicht Vieri. Der Durchbruch gelang ihm bei Atlético Madrid. Dort schoss er in 24 Spielen 24 Tore. Nach diesem Engagement stiegen seine Wechselgagen wie einstmals der Kurs des Nemax 50. Für 91 Millionen Mark ging der Liebhaber teurer Karossen (Ferrari 550, Mercedes 500 CL) zum FC Internazionale. Das Fußball-Nomadentum habe ihn stets belebt, sagte er einmal. „Ich musste mich bewegen, um in meinem Spiel voranzukommen.“ Nach dem verlorenen Achtelfinale wird er das Gefühl nicht loswerden, einen riesigen Schritt zurück getan zu haben. Nur weil ihm ein Ball verrutschte. MV
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