piwik no script img

ossietzky-medailleScheinheilige Kritik

Eigentlich hätte man die Bild-Kampagne gegen die Träger der diesjährigen Ossietzky-Medaille schon früher erwarten können. Warum nur brauchten die investigativen Kenner ihres Metiers so lange, um herauszufinden, dass ein Mitglied der Brandenburger Flüchtlingsinitiative wegen eines Drogenvergehens verurteilt und gegen ein Mitglied des Vereins Opferperspektive wegen eines angeblichen Terrorismusverdachts ermittelt wurde?

Kommentar von UWE RADA

Doch es ist weniger die durchsichtige Art der Springer-Presse, politisch missliebige Preisträger zu diskreditieren, die hier zu kritisieren ist, sondern die Scheinheiligkeit, mit der sich nun einige Politiker aus SPD und CDU des Namens von Carl von Ossietzky bemächtigen.

Ossietzky würde sich im Grabe umdrehen, sagt zum Beispiel der Potsdamer SPD-Abgeordnete Christoph Schulze. Doch woher weiß das Herr Schulze so genau? Weil etwa gegen Kay Wendel ermittelt wird und Christopher Nsoh verurteilt wurde?

Viel eher wäre zu vermuten, dass sich Politiker von derart trauriger Gestalt auch echauffieren würden, wenn ein anderer Preisträger etwa wegen „Landesverrats“ zu 18 Monaten Haft verurteilt worden wäre. Oder wenn er mehrfach im Gefängnis gesessen hätte, weil er ein unverbesserlicher Pazifist ist und auch durch Strafandrohung nicht bereit, diese Gesinnung zu ändern. Nur zur Erinnerung: Es war Carl von Ossietzky selbst, der sich dieser „Vergehen“ schuldig gemacht hat. Und zwar nicht in der Nazi-Diktatur, sondern im „Rechtsstaat“ der Weimarer Republik.

Und es gab schon damals genügend Politiker, die gegen den späteren Friedensnobelpreisträger genauso argumentativ zu Felde gezogen sind wie die erwähnten Abgeordneten der SPD und der CDU. Das ist das eine. Alles andere steht auf keinem politischen, sondern auf einem juristischen Blatt. Man täte gut daran, diese Dinge auch weiterhin voneinander zu trennen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen