ortstermin: André Zuschlag bei einer Veranstaltung des „Compact“-Magazins mit Jürgen Elsässer in Northeim: Sozial-nationalistisch in niedersächsischer Provinz
Zu Beginn gibt es eine Drohung. An die drei, vier „Störer“, die hier im Saal sitzen würden. Falls sie vorhätten, für Tumult zu sorgen, so der Mann mit kurzen grauen Haaren, verdunkelter Sonnenbrille und Schnäuzer, müssten sie an ihm vorbei und das würde er nicht zulassen. Das Publikum johlt und klatscht vergnügt: Wenige Frauen und Jüngere, dafür viele ältere Herren.
Es ist Freitagabend in Northeim. Zum ersten Mal haben Jürgen Elsässer und sein rechtes Compact-Magazin zu einer Veranstaltung in Niedersachsen eingeladen – und wirbt offen für die AfD. Vor allem für den Hücke-Flügel der Partei. Draußen in der Kälte haben sich einige dutzend GegendemonstratInnen versammelt. Drinnen, in der Eingangshalle, liegen Mettbrötchen auf dem einen Tisch, auf dem anderen Fan-Shirts und Sticker mit der Aufschrift „Mut zur Wahrheit“ neben verschiedenen Ausgaben des Compact-Magazins.
Militärisch begrüßt Paul-Armin Hampel, niedersächsischer Landesvorsitzender der AfD, einen anderen Herrn. Von den Kontrollen am Eingang abgesehen, ist die Stimmung ausgelassen. Man ist unter sich.
Compact, das „rechte Leitmedium“, wie es der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn bezeichnet, ist vor allem im Osten Deutschlands präsent. Mittlerweile mit einer Auflage von 80.000 Exemplaren. Zu Beginn freut sich Chefredakteur Elsässer, dass sich „so viele standhafte Kämpfer im Westen“ eingefunden hätten. Etwa 170 ZuschauerInnen sind dem Motto „Gegen Schulz und Merkel – für die Einheit der AfD“ in die Northeimer Stadthalle gefolgt.
Ende der 1990er-Jahre driftete Elsässer nach rechts. In jungen Jahren war er Mitglied des Kommunistischen Bunds und Autor von Texten für die Jungle World und Junge Welt. Nun versucht er sich mit dem Compact-Magazin an einer Querfront von rechten und linken Positionen. Mittlerweile positioniert sich das Magazin klar für die AfD.
Als erster Redner spricht Paul-Arnim Hampel. Er erklärt dem Publikum, wie gut und wirtschaftlich stabil die Bundesrepublik in den 1960er-Jahren war. Da möchte er wieder hin. Noch hält sich die Begeisterung des Publikums in Grenzen. Hampel hat einige anstrengende Wochen hinter sich. In der niedersächsischen AfD tobt ein Streit um seine Person. Vorerst setzte er sich durch und tritt für den Landesverband zur Bundestagswahl im September als Spitzenkandidat an.
Während man Hampels Rede noch in rechtsliberalen Kreisen der FDP verorten könnte, bemüht Martin Renner, Co-Vorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen, ein Potpourri von Kampfbegriffen der Neuen Rechten: Er spricht von „Genderwahn“, „Asylflut“, „linksgrünversifftem Establishment“, „Schuldkult“ und „Altparteienkartell“. Begriffe, die er mit Zitaten von Thomas von Aquin zu einem pseudointellektuellen Schreckensszenario zusammengewürfelt. Aus dem Publikum beginnen die ersten „Widerstand“-Chöre – der Saal ist in Stimmung und bereit für Elsässer.
Der weiß, wie er sein Publikum begeistert und beherrscht die heroische Pose wie kein anderer an diesem Abend: „Mein Name ist Jürgen Elsässer und ich werde nicht zulassen, dass Deutschland vor die Hunde geht“, sind seine Eröffnungsworte. Geistreich und charmant will er sich in Szene setzen.
Inhaltlich zeigt er seine Ansichten unumwunden. Erst sagt er: „Niemand hier stellt den Holocaust in Frage.“ Um daraufhin zu fragen, warum es in Berlin das von Björn Höcke bezeichnete „Denkmal der Schande“ gibt, aber in London keines für die Bombardierung Dresdens. Der Holocaust wird nicht geleugnet, doch aber relativiert. Das Publikum steht auf und applaudiert energisch. Die Deutschen, gestern wie heute, mehr Opfer als Täter – das trifft den Nerv.
Eine bundesrepublikanische Regierung, die weder „sozial“ noch „national“ ist, sei abzulehnen, sagt Elsässer. Nur beides zusammen brauche das deutsche Volk.
Es sind keine „tätowierten Glatzen“, die an diesem Abend jubeln, sondern augenscheinlich der als „besorgte BürgerInnen“ firmierende biedere deutsche Durchschnitt. Die von der AfD so verhassten Sozialwissenschaften – von Martin Renner zwischendurch als „Schwätzwissenschaften“ tituliert – haben dies als „Extremismus der Mitte“ bezeichnet. Die Anschlussfähigkeit neu-rechter Themen in der Mitte der Gesellschaft – hier zeigt sie sich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen