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orte des wissensEin Hort der Flaschenposten

Die Maritime Fachbibliothek im Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie sammelt neben Seekarten Flaschenposten, die Schiffen im 19. Jahrhundert zur Strömungsbestimmung dienten

Flaschenpost. Nur wenige Menschen haben bei diesem Wort die Assoziation „Wissenschaft“. Aber so abwegig ist das nicht: Die Maritime Fachbibliothek im Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), Hamburg und Rostock, hat rund 660 Flaschenposten in ihrem Bestand, die älteste 1864 bei Kap Hoorn zu Wasser gelassen und 1867 beim australischen Portland gefunden, 8.532 Seemeilen entfernt.

Sie ist damit ungefähr gleich alt wie die Bibliothek selber. Deren Anfänge reichen bis 1868 zurück, bis zu den Büchern und Karten der privat betriebenen Norddeutschen Seewarte, aus der wenig später das staatliche Reichsinstitut Deutsche Seewarte wurde, bis 1945 Vorläufer des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hy­drographie.

Die Postsendungen von Kap Hoorn hatten, wie viele andere, der Forschung der Seewarte gedient, zur Strömungsbestimmung. Deutsche Handels­schiffskapitäne hatten solche Post, mit genormten Formularen, an zuvor abgestimmten Positionen über Bord geworfen, und wer sie fand, konnte seinen Fund der Seewarte melden.

Wie die Flaschenposten über Bord gingen, schildert Bibliothekarin Pamela Machoczek, die stellvertretende Leiterin der Bibliothek, so: „Dazu nahm man dann, was gerade ­leergetrunken worden war. Formular mit Ort und Datum rein, Korken drauf. Das war ja in der Zeit der Segelschifffahrt, da war es doppelt wichtig zu wissen, wo welche Strömung verläuft, gerade für Zeiten mit wenig Wind. Dadurch ergaben sich ja Geschwin­digkeitsvorteile gegenüber der Konkurrenz.“ In der Deutschen Seewarte wurden mit Hilfe der Funddaten Strömungskarten erstellt. „Die bekamen die Kapitäne dann zur Verfügung gestellt, sozusagen im Tausch.“

Die Fachbibliothek, durch das BSH an das Bundesministerium für Verkehr angebunden, hat viele Zielgruppen. „Forschende wenden sich an uns“, sagt Machoczek, „Studierende, zuweilen auch Schülerinnen und Schüler, wenn sie etwas für ihren Unterricht brauchen, etwa zum Klimawandel. Oft, wenn Meeresthemen in der Presse oder im Fernsehen behandelt wurden, kommen Anfragen aus der Öffentlichkeit. Vielfach arbeiten wir natürlich auch dem Bundesverkehrsministerium zu.“

Von den rund 1.100 BSH-MitarbeiterInnen entfallen zehn auf die Bibliothek – Machoczek führt ein reines Frauenteam. Die Arbeitsteilung zwischen Hamburg und Rostock ist für das rund 181.000 Medien starke Haus auch archivalienbedingt. Hamburg konzentriert sich auf Meereskunde, auch die Flaschenposten lagern hier. Rostock fokussiert deutsche Seekarten. „Rund 43.000 haben wir dort im Archiv“, sagt Machoczek. „Erstellt seit 1876. Wer wissen will, wie sich der Küstenverlauf geändert hat oder der Meeresboden, wird hier fündig. Auch wer eine Segelreise plant, kann daraus Nutzen ziehen.“

Die älteste Post wurde 1864 bei Kap Hoorn zu Wasser gelassenn und 1867 in Australien gefunden

Die Bibliothek ist ein offenes Haus. „Vieles ist bei uns in physischer Form zugänglich“, erklärt Machoczek. „Aber wir haben natürlich auch Digitalisate; nach und nach befüllen wir unsere digitale Bibliothek. Und wenn jemand nicht zu uns kommen kann, um etwas nicht Digitalisiertes einzusehen, bereiten wir es ihm gern in Datenform auf.“ Die Bandbreite reicht dabei von Geophysik über Umweltschutz bis zur nautischen Technik, vom Brief bis zum Forschungsfahrtbericht.

Wer will, kann sich auch online durch Polarforschungsakten des 19. Jahrhunderts wühlen oder durch eine Studie zur Bewertung von Algorithmen für nautische Anwendungen von 2024. Schwarzweißfotos von Helgoland finden sich hier, auch das „Gesetz über die Deutsche Seewarte“ von 1875 lässt sich sichten. Sie beginnt mit dem schönen Satz: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen, verordnen …Harff-Peter Schönherr

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