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orte des wissensWohlklang fürs Krankenhaus

Am neuen Ligeti-Zentrum für Computermusik in Hamburg knobeln Ingenieure, Mediziner und Künstler an Wohlfühlklängen für Patienten. Und sie übersetzen auch Gemälde in Musik

Das hatte György Ligeti immer gewünscht, geradezu zur Bedingung seines Amtsantritts an der Hochschule für Kunst und Musik in Hamburg (HfMT) gemacht, wo er 1973 bis 1988 Professor für Komposition war: Ein Forschungszentrum für Computermusik sollte in der Hansestadt gegründet werden, in dem Ver­tre­te­r:in­nen unterschiedlicher Fachrichtungen gemeinsam experimentieren, um etwas Neues für alle zu erreichen.

Finanziert wurde das nie. Der herzerfrischend eigenwillige Künstler entwickelte trotzdem seine Faszination für digitale Klangerzeugung zu multimedialer Klangkunst, in der er seine naturwissenschaftlichen Interessen mit Technik und Kunst vereinte. Aus diesem Geist soll jetzt endlich der Wunsch des 2006 verstorbenen Komponisten erfüllt werden. Als ein Projekt der HfMT in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität (TUHH), der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) und dem Universitätsklinikum (UKE) wurde im Mai 2023 das Ligeti-Center eröffnet. Es ist dank der Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ mit 15 Millionen Euro bis Ende 2027 finanziert.

In einem Speichergebäude in Hamburg-Harburg sind auf 880 Quadratmetern bereits mehr als 30 Angestellte aus Forschung, Kunst, Medizin, Pädagogik und Ingenieurwissenschaften tätig, um ihre Kompetenzen und Ideen zu vernetzen. Im neunten Obergeschoss befinden sich Büros, im zehnten die Laboratorien und ein Konzertsaal. „Das ist der Entwurf einer anderen Universität, statt in abgezirkelten Disziplinen arbeiten wir zusammen“, sagt Institutsleiter Georg Hajdu, der als Kompositionsstudent einst Gasthörer in Seminaren bei Ligeti in Hamburg war. Wie er kümmert sich das nach ihm benannte Institut nicht nur um neue Musik mit betont sinnlichem Effekt, sondern auch ums spielerisch fachübergreifendes Forschen und den möglichst schnellen Transfer in konkrete Anwendungen.

Zwölf Projekte sind derzeit in Arbeit. Zum Beispiel Healing Soundscapes, ein Audionetzwerk, das für das UKE entstehen soll. „Wir wollen die klangliche Atmosphäre in Warteräumen, OP-Sälen, Schwesternzimmern, Gängen und der Notaufnahme verbessern“, sagt Hajdu. Die aktuell eher krankmachende Geräuschkulisse soll aber nicht mit Yoga- oder Muzak-Musik aus dem Supermarkt übertönt, sondern mit klanglichen Ereignissen an der Hörschwelle umspielt werden, die wie Bilder, Farben, Licht die Raumwirkung positiv verändern können.

Mediziner, Therapeuten, Komponisten, Musiker und Lautsprecherkonstrukteure kreieren daher eine immersive Klanginstallation für neutrale Musik. Also sind Melodien, Rhythmen oder Akkordentwicklungen verboten, weil jemand sie toll oder doof finden könnte. Was stattdessen zu hören sein wird, vergleicht Hajdu mit der beruhigenden Wirkung, die das Anschlagen eines Gongs, einer Glocke oder Klangschale hat, „wo jeder Ton ein wohlgeformtes Ereignis ist“. In diese Sounds würde leise harmonisierend Umweltgeräusche integriert. Schon im Mai dieses Jahres sollen die ersten Healing Soundscapes in der UKE-Notaufnahme erklingen. Hajdu kann sich vorstellen, dass später eine Agentur gegründet werden könnte, um Ähnliches auch für Arztpraxen und andere Krankenhäuser zu entwickeln.

Gesucht wird ein Ton mit der beruhigenden Wirkung eines Gongs, wo jeder Ton ein wohlgeformtes Ereignis ist

Andere Teams erforschen die Übersetzung von Gemälden in Musik mittels Malrobotern und KI oder entwickeln Moving Sound Pictures. Meisterwerke der abstrakten Malerei, etwa von Wassily Kandinsky, werden für VR-Brillen-Träger zu virtuell begehbaren Räumen. Die grafischen und geometrischen Objekte des Bildes sind haptisch kennenzulernen und geben bei Berührung Töne von sich. Bildende Kunst wird zum interaktiven Musikensemble. „Ein großer, schlauer Spaß“, sagt Hajdu. Was wiederum gut zu Ligeti passt. Jens Fischer

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