nebensachen aus warschau: Erinnerungen an den Eisernen Vorhang
Kein Gebrauchtwarenhandel
Polen ist ein freies Land. Dies war nicht immer so. Um die Erinnerung daran wach zu halten, wie schwierig es einst war, unter dem Eisernen Vorhang durchzukrabbeln und in Polen als Korrespondent zu arbeiten, hat die Regierung einige der alten Vorschriften in Kraft gelassen. Und so wiederholt sich für jeden neuen Korrespondenten das Drama an der Grenze.
Ein Zöllner nimmt mit hochgezogenen Brauen die Zollerklärung „Umzugsgut“ in Empfang, geht betont langsam zur hinteren Klappe des Kleintransporters und befiehlt kurz: „Öffnen!“ Aufgestapelt sieht er dort ein Bett, vier Stühle, einen Kühlschrank, Pantoffeln, eine Kaffeemaschine. Der Zöller nickt: „Hab ich's doch gewusst“, zerknüllt die Zollerklärung und lässt alles ausräumen. Dann schätzt er den Wert des „Warenlagers“.
Korrespondenten, die ihre Akkreditierung rausziehen: „Hier steht es schwarz auf weiß – mit Stempel des polnischen Außenministeriums. Das ist meine neue Adresse. Da werde ich einziehen“, hören nur: „Nun werden sie mal nicht frech!“ Stoisch füllt der Zöllner die Rechnung aus, am Ende sind es über 3.000 Mark. „Sie können in Warschau bezahlen oder Widerspruch einlegen“, grinst er zum Abschied.
Tatsächlich gibt es ein Gesetz, wonach Umzugsgut zollfrei ist. Der Widerspruch wird also angenommen, allerdings unter der Bedingung, dass man in fünf Monaten einen erneuten Antrag auf Zollbefreiung stellt, und dann in fünf Monaten wieder einen und so weiter.
Irgendwann habe ich dann den Stichtag verpasst. Prompt traf per Einschreiben mit Rückschein die Rechnung für das „Warenlager“ bei mir ein. Ich legte Widerspruch ein und zahlte erst mal nicht. Statt einer Antwort traf nach zwei Monaten eine erneute Rechnung mit den inzwischen aufgelaufenen Zinsen ein. Ich legte erneut Widerspruch ein und zahlte wieder nicht. So ging das lustig weiter, bis sich irgendwann das Finanzamt bei mir meldete. Die Zinsschuld, die inzwischen beim Zollamt aufgelaufen sei, werde besteuert, stand in dem Schreiben und ich hätte sofort umgerechnet 200 Mark Steuern zu bezahlen.
Statt erneut Widerspruch einzulegen, fahre ich diesmal direkt zum Finanzamt und lege den Aktenordner vor, der sich über die Jahre gefüllt hat. Die junge Frau sieht mich an, als sei ich eine aus dem Zoo entsprungene besonders merkwürdige Spezies und fragt: „Und wo befindet sich das Warenlager nun?“ Fassungslos starre ich zurück: „Bei mir zu Hause! Ich wohne darin.“ Dann setze ich trocken hinzu: „Ich besitze ein Bett, darin schlafe ich, auf meinem Herd koche ich mir manchmal ein Süppchen, in meinem Schrank hängen meine Kleider.“ Sie unterbricht mich: „Dann wohnen sie also in einer Wohnung?“ Ich nicke erleichtert. „Und Sie wollen ihre Möbel nicht in Polen verkaufen?“ Ich schüttle den Kopf. „Und warum meint dann das Zollamt“, fragt sie unerbittlich, „dass ihr Umzugsgut ein Warenlager sei?“ Ich schaue gegen die Decke, zucke die Schultern und vermute vorsichtig: „Vielleicht braucht der polnische Staat Geld?“
Sie klappt den Aktenordner zu und meint: „Leider kann ich nichts für sie tun. Wenn das Zollamt seine Entscheidung nicht zurückzieht, müssen sie die Zollschulden und -zinsen bezahlen und die Steuern auf die Zollzinsen auch.“ Nachdem weder die deutsche Botschaft in Warschau noch der polnische Außenminister helfen konnten, und auch der oberste Zollchef Polens sich in dieser Frage für unzuständig erklärt hat, habe ich mich kurzerhand für „nicht betroffen“ erklärt und lasse die Briefe von Zoll- und Finanzamt regelmäßig zurückgehen. Allerdings haue ich für alle Fälle immer noch eine riesigen Stempel drauf: „Journalistische Artikel. Kein Gebrauchtwarenhandel!“ GABRIELE LESSER
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