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Archiv-Artikel

nebensachen aus khentii in der mongolei Ein Wikinger im Reich Dschingis Khans

Tagsüber wärmt die Sonne das herbstlich braune Grasland, nachts fällt das Thermometer bereits auf minus 20 Grad. Unsere Wagenkolonne rollt durch die Stille einer fast menschenleeren Region. Hier in der Region Khentii, im Osten der Mongolei, ist im 12. Jahrhundert Dschingis Khan zur Welt gekommen, ein Nomadenkrieger, der im Sattel die halbe Welt eroberte.

Wir sind im Gefolge eines Wikinger-Nachfahren unterwegs, des norwegischen Kronprinzen Haakon. Der 35-Jährige mit dem präzisen Seemannsbart hat es sich zur Aufgabe gemacht, als „Botschafter guten Willens“ für die Vereinten Nationen durch die Welt zu reisen. Er will im Auftrag der UNO Demokratie fördern und die Armut bekämpfen. Dazu gehört das Büro für Rechtsberatung ebenso wie das Projekt der Straßenlaternen, die sich die Bewohner des Örtchens Undurkhan gewünscht haben, damit die Bewohner in den Randgebieten sich nachts nicht mehr vor Räubern und Verkehrsunfällen fürchten müssen.

In einer Jurte auf der Mülldeponie am Rande der Hauptstadt Ulan Bator hat sich der Kronprinz am Vortag mit rund zehn Jungen und Mädchen unterhalten. Die Kinder verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Plastik, Metall, Karton und Flaschen, die sie aus dem Abfall klauben.

Die Armut ist groß unter vielen der rund drei Millionen Menschen in der Mongolei. Immer mehr Nomadenfamilien verlassen das Grasland, weil sie von ihren Herden nicht mehr leben können. Eine große Trockenheit hat vielerorts die Weidegründe zerstört, zudem haben die Hirten selbst das Gleichgewicht der Natur durcheinander gebracht: Seitdem die Herden Anfang der Neunzigerjahre privatisiert wurden, hat sich die Zahl der Ziegen, Schafe, Rinder, Pferde und Kamele fast verdoppelt. Deshalb verwandeln sich Teile des Graslands immer mehr in eine unfruchtbare Wüste. So lebt schon mehr als ein Drittel der knapp drei Millionen Mongolen in der Hauptstadt. Viele Nomaden finden keine Arbeit. Die UNO unterstützt auf dem Müllplatz von Ulan-Bator eine kleine Schule, damit die Kinder wenigstens einige Stunden am Tag etwas lernen können.

Mit einer weiten Geste zeigt Haakon in der weißen Schuljurte auf die Weltkarte. „Da liegt Norwegen“, sagt er. „Ich bin der Kronprinz, also der Sohn vom König.“ Seine Vorfahren, die Wikinger, seien wie die Mongolen unter Dschingis Khan in die Welt ausgeschwärmt, erzählt er: „Allerdings zogen sie nicht übers Land, sondern über die Meere.“

Die Schüler können sich nicht so recht erklären, warum ein Königssohn aus einem fernen Reich zu ihnen auf die Müllkippe kommt. Und was ist ein Meer? Als der Kronprinz sie auffordert, ihn etwas zu fragen, fällt ihnen nichts ein. Schließlich nimmt der zwölfjährige Purevsuren, der seinen Namen nicht schreiben kann, aber als Anführer der Müllsammlerkinder schon umgerechnet drei Euro am Tag verdient, seinen Mut zusammen: „Gehen deine Kinder auch zur Schule?“ JUTTA LIETSCH