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modernes antiquariatDie Erinnerungen des Oskar Huth

Der Klaviertrinker

Vor dem Boom war auch schon Boom: Wir stellen in unregelmäßigen Abständen Berlin-Romane vor, die vor 1989 erschienen sind.

Den Deutschen ist der Partisan wesensfremd. Einmal hatte ich trotzdem das Glück, einen richtigen deutschen WK-Zwo-Partisanen kennen zu lernen: Oskar Huth – und prompt erkannte ich ihn nicht als solchen. Dabei trafen wir uns dann relativ oft – im Erfrischungsraum der Galerie Petersen in der Goethestraße und in der Kneipe „Zwiebelfisch“ am Savignyplatz. Nach und nach erfuhr ich nähere Einzelheiten über Huth, der bis in die Fünfziger als Klavierstimmer in Kreuzberg sein Geld verdient hatte. Im „Zwiebelfisch“ trug der Maler Alf Trenk die „Ansichten und Erinnerungen“ von Oskar Huth unter dem Titel „Überlebenslauf“ zusammen. Weil das Buch nur in dieser Kneipe zu erwerben war, hat der Merve-Verlag es jetzt noch einmal veröffentlicht.

Huths partisanische Ein-Mann-Verschwörung begann 1939, als er im Botanischen Garten pro forma eine Stelle als Zeichner annahm. 1941 tauchte er mit falschen Papieren unter. Er hatte sich eine Druckmaschine besorgt, die er in einem Keller am Breitscheidplatz versteckte. Damit fälschte er fortan Pässe und Lebensmittelkarten. Über 60 Menschen, überwiegend Juden, die sich in Wohnungen, auf Dachböden und in Kellern versteckt hielten, konnten damit überleben.

Ihre Unterkünfte waren über ganz Berlin verstreut, Oskar Huth versorgte sie mit Lebensmitteln – in einem jahrelangen „monsterhaften Latsch durch die Stadt“, wie er einmal erzählte: „Alles hing natürlich an einem seidenen Faden. Wer wirklich Leute versteckte, das waren die Proletarier untereinander. Die Ärmsten halfen den Armen. Und die Leute, die wirklich Möglichkeiten hatten: Da war nichts, gar nichts.“

Für das schmächtige Männchen war seine Solidarität vor allem „eine artistische Balancemeierei – unvorstellbar . . . Aber was mit geholfen haben muss durchzukommen, ist wohl, dass mich die Leute hinsichtlich meiner Nervenfestigkeit, meiner physischen Kraft und, wenn ich’s mal ein bisschen eitel sagen darf, auch was die Sache eines gewissen Witzes angeht, unterschätzt haben.“ In den letzten Tagen des Krieges brachte er sogar einen „besonders widerwärtigen Nazi und Einpeitscher“ um, indem er und ein zur Zwangsarbeit verpflichteter Franzose den Mann im Rollstuhl in ein brennendes Nebenhaus schoben: „So, da war einer weniger da.“ Gegen Ende seines Lebens meinte Oskar Huth: „Wenn es nach diesem Dasein nichts mehr gibt, dann hab ich versäumt, etliche Kanaillen abzumurksen . . . Aber der Spielraum, aus sich was anderes zu machen, als einem prädestiniert ist, der ist ein lächerlich geringer.“

Die Amerikaner trugen Oskar Huth nach dem Krieg eine Stelle im Kultursenat an, er zog es jedoch vor, „freischaffender Trinker“ zu bleiben. 1991 begruben ihn seine Freunde und Fans auf dem Jerusalemer Friedhof, nicht weit vom Grab E.T.A. Hoffmanns entfernt. HELMUT HÖGE

Oskar Huth: „Überlebenslauf“, Merve, Berlin 2001, 180 S., 24 DM

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