moderne sklaven: Aufschneiden und Abstumpfen
Die Schlachthofpraktikantin
Es ist noch dunkel, wenn Julia Busse die anderthalbstündige Autofahrt von Berlin zu ihrem Arbeitsplatz, dem Fleischzentrum (FZ) Lausitz in Brandenburg, antritt. Um sieben Uhr morgens durchschreitet sie die Hygieneschleuse in ihrer Arbeitskleidung. Wie alle 250 Mitarbeiter hier trägt sie einen weißen Overall, dazu einen Arbeitshelm und einen Kettenhandschuh. Damit sie sich nicht ins eigene Fleisch schneidet. Denn Busses Hauptaufgabe in ihrem Schlachthofpraktikum besteht darin, Organe von Rindern und Schweinen aufzuschneiden und zu begutachten: essbar oder ein Fall für die Konfiskatenrinne?
Von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends steht die Studentin der Veterinärmedizin am Fließband der Fleischuntersuchungsstelle. Pro Woche werden im FZ Lausitz etwa 8.000 Schweine und 1.150 Rinder geschlachtet. Eine hochproduktive Fleischfabrik, die auf die Einkaufsregionen Brandenburg und Sachsen-Anhalt spezialisiert ist. Wenn die toten Tiere bei der Fleischkontrolle des Veterinäramtes ankommen, sind sie schon gehäutet. Kurz vor Julia Busses Posten werden sie ausgeweidet und dann zerteilt. Kiloweise dampfende Rinderdärme liegen stinkend vor der Praktikantin, die unter Anleitung lernt, Lymphknoten aufzuschneiden und nach Eiter und Bakterien zu suchen. Später rauschen etwa 500 Lebern, Lungen, Luftröhren und Rinderköpfe an Busse vorbei.
Ausgesucht hat sie sich diese Arbeit nicht. Das dreiwöchige Schlachthofpraktikum ist das letzte mehrerer Pflichtpraktika, das die angehende Tierärztin vor dem zweiten Staatsexamen an der FU Berlin absolvieren muss. Geld gibt es keins. Die Akkordarbeit im Schlachthof wird genauso wenig vergütet wie das vierwöchige Praktikum, das Busse in einer Kleintierpraxis zu leisten hatte. „Ziemlich viel putzen“, musste sie dort, denn „die haben da eine Kraft gespart“, erinnert sich Busse, die bereits ausgebildete Tierarzthelferin ist. „Wenn die Leute dich ausnutzen, fänd ich es schon gut, wenn man eine kleine Anerkennung kriegen würde.“
Für die Angestellten im Schlachthof sind die Praktikanten jedoch eher Last als Entlastung. Als „unentgeltliche, zusätzliche Arbeitszeit“ bezeichnet Diplom-Veterinärmedizinerin Romy Wohlfahrt die Schlacht-Laien. Für eine zügige Fleischbeschau ist Routine in der Schnittführung gefragt. Weiß mittlerweile auch Julia Busse. Heute ist ihr vorletzter Tag im FZ. „Die meinen, dass es aussehe, als ob ich metzeln würde.“
In ihrem Arbeitsalltag hat sie nicht nur mit stumpfen Messern zu kämpfen. Komische Witze seien im Schlachthof an der Tagesordnung. „Man muss da einfach abstumpfen“, glaubt die 27-Jährige. Sie findet es problematisch, dass ihr jeder Mitarbeiter eine andere Schnitttechnik zu vermitteln versucht. Genauso unterschiedlich sei die Handhabung in der Fleischuntersuchung. „Würdest du es noch essen?“, fasst Busse die verschiedenen Bewertungsweisen ihrer Kollegen in einer Standardformel zusammen. Dabei findet sie Innereien eigentlich „ganz fies“.
Obwohl ihre Kommilitonen sie schon mit Horrorgeschichten vom Schlachthof vorgewarnt hatten, musste Busse bei der ersten Betriebsbesichtigung doch noch schlucken. „Irgendwie schon krass“ findet sie den Bolzenschuss bei der Rindertötung oder die Gaskammer, in der die Schweine mit CO2 betäubt werden, bevor sie aufgeschnitten werden und ausbluten. Doch am schlimmsten sei es, die Tiere bei der Ankunft zu beobachten. An deren Gesichtsausdruck meint die selbst erklärte Tierfreundin eine „Vorahnung“ des bevorstehenden Todes ablesen zu können.
In Zukunft will die gebürtige Steinfurterin dann auch nicht mehr viel mit Rindern und Schweinen zu tun haben. Eine Kleintierpraxis wäre die Erfüllung ihrer Tierarztträume. „Tieren zu helfen“ sei schließlich ihre Motivation, so kitschig es klingen mag. Und am liebsten Hunden. Da schließt sich der Kreis. Denn die Vierbeiner bekommen das zu fressen, was Julia Busse im Schlachthof in die Konfiskatenrinne wirft.
SEBASTIAN HEINZEL
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