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matthias urbach über NebenwirkungenDer Babyjogger als Schubkarre

Wer Gebrauchsanweisungen nicht versteht, ist doof. Wer sie befolgt, ist ein absoluter Volltrottel

„Was man nicht selber weiß, das muss man sich erklären.“ (Jürgen von Manger)

Wenn Günther Jauch die Deutschen wirklich schlauer machen wollte, müssten seine Quizgäste kombinierte Faxanrufbeantwortertelefone in Betrieb nehmen. Oder Satellitenreceiver. Stattdessen fragt er sie nach dem Fachbegriff für Weichtiere und grinst. Meine Tante Rita würde sich die Show gern auf Video aufnehmen: „Da kann man so viel lernen.“ Wenn sie bloß wüsste, wie sie den verdammten Rekorder programmiert.

Als Eichel den Euro einführte, gab es viel Aufregung. Dabei ist eine Münze einfach zu bedienen. Das ist nichts gegen die Umstellungsprobleme, die entstünden, wenn alle Bundesbürger gleichzeitig eine neue Espressomaschinen ausgeliefert bekämen. Da wäre echt was los.

Dabei gibt es doch Gebrauchsanweisungen! Viele trauen sich aber nicht mehr ran an die Dinger, denn unter fünfzig Seiten macht es kaum ein Hersteller. Bei mir ist das anders: Ich lese alles durch. Und mit einigem Stolz kann ich behaupten, dass bei mir Videorekorder, Kamera, Mikrowelle und Fön alle korrekt auf Winterzeit eingestellt sind.

Was mich jedoch irritiert, sind die Wäschezeichen. Es dauerte, bis ich begriff, dass der Strich unter der Wanne „Feinwäsche“ bedeutet. Auch „von links bügeln“ sagte mir zunächst nichts. Also frage ich meine Mutter. Das Problem: Sie nimmt es nicht so genau mit Anleitungen.

Neulich kriege ich die Knitterfalten aus meinem teuren neuen Hemd nicht heraus. „Natürlich kannst du das Hemd auf Stufe 3 bügeln“, spricht sie durchs Telefon. Ich protestiere. „Hier auf dem Wäschezeichen steht: Maximal Stufe 2“. Meine Mutter überhört den Einwand. „Mach das Eisen heiß! Richtig mit Dampf!“

Wie unvernünftig von ihr! Ich renne lieber mit einem verknitterten Hemd herum, als zu riskieren, das schöne Dunkelrot herauszubügeln. Wozu gibt es schließlich Anleitungen?

Doch die Probleme mit meinen Klamotten häuften sich: Als ich vor der Waschmaschine im Keller knie, muss ich erkennen, dass meine neue hellbeige Hose laut Wäschezeichen nicht waschbar ist. Dabei handelt es sich um ein Baumwoll-Nylon-Mischgewebe. Diesmal frage ich nicht lange meine Mutter, sondern rufe direkt in der Boutique an. „Was verkaufen Sie denn für seltsame Hosen?“ Die Ladeninhaberin tut überrascht, und schlägt vor, dass ich die Hose trotzdem wasche. „Ich ersetze sie Ihnen“, verspricht sie, „falls die Hose Schaden nimmt.“ Nimmt sie nicht.

Der Vorfall wäre längst vergessen, hätte ich nicht unterm Weihnachtsbaum neue Unterwäsche gefunden. Die Waschanweisung zierte das Symbol für „nicht waschen“. Ich konnte es nicht fassen.

Diesmal musste eine echte Expertin her. Ich marschiere direkt in die Reinigung, zeige der Frau das Wäschestück und frage sie, ob bei ihr tatsächlich auch Unterhosen chemisch gereinigt würden. Sie kichert. „Den Kunden will ich sehen!“ Dann bleibt ihr Blick an meinem Hemd hängen. „Wir haben einen Bügelservice“, sagt sie. Mein Gesicht färbt sich passend zum Ton meines Hemdes. Wie man denn empfindliche Hemden glatt bekomme, frage ich eingeschüchtert. Sie schreibt mit ihrem rechten Arm eine energische Bügelbewegung in die Luft. „Stufe 3 und richtig mit Dampf!“

Ich hatte meiner Mutter unrecht getan. Offenbar kann man Waschanleitungen nicht trauen. Aber was sollen sie auch taugen, die kurzen Dinger. Es geht eben nichts über eine richtige Gebrauchsanweisung!

Kaum hatten wir letzte Woche unseren neuen Sportkinderwagen angeschafft, so ein flotter Babyjogger auf drei Rädern, stürze ich mich auf die Anleitung. Auf Seite 10 komme ich ins Stutzen: „Halten Sie mit Ihrem Kind Ihre Geschwindigkeit in Grenzen, also nicht rennen, joggen oder skaten.“ Irritiert mustere ich unsere Neuerwerbung mit integrierter Handbremse und Breitreifen. Dann lese ich weiter. „Benutzen Sie keine Rolltreppen oder Lifte, während sich Ihr Kind im Kinderwagen befindet.“ Es klingt als sei der Babyjogger eine Schubkarre.

Die Affäre beschränkt sich nicht mehr nur auf Wäschezeichen. Die Sache hat System. Jeder denkbare Garantiefall soll ausgeschlossen werden. Motto: Der Kunde war zu doof für unser tolles Produkt. So ziert Wattestäbchenpäckchen stets der Hinweis „nicht in den Gehörgang einführen“ (wofür braucht man die denn sonst?). Babymilchpulver darf nur mit „abgekochtem Wasser verwendet“ werden, während mein so gefütterter Sohn am liebsten Blumenerde kaut.

Mir wurde klar: Meine Mutter geht mit den Anleitungen viel aufgeklärter um als ich. Als ich ihr erklären will, wie man den Videorekorder programmiert, winkt sie ab. „Bloß nicht“, flüstert sie mit Seitenblick auf meinen Vater. „Dann muss ich mich darum auch noch kümmern.“

Fragen zu Nebenwirkungen?kolumne@taz.de

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