kurzkritik: Realtitätsflucht in den Darkroom
Zu Beginn ist das Publikum schüchtern. Es ziert sich, erwacht aber nach dem ersten Viertel des Stückes zum Leben. Die Zuschauer*innen wandern durch den Raum und schenken den Darstellern mal mehr mal weniger Beachtung. Sie sind selbst Teil des Saisonabschlusses der Schwankhalle. Diese zeigt George Orwells „Animal Farm“ inszeniert vom Showcase Beat Le Mot.
Die Performance-Boygroup aus Gießen hüllt den Raum in leichten Nebel. An den Wänden hängen barocke Bilder, Hirschgeweihe und ein menschliches Skelett, das bedenklich echt aussieht. In der Mitte ein Käfig. Überall blinken bunte Lichter.
Am Anfang erklären die vier Darsteller, man dürfe die Plätze während der Performance gerne verlassen, den Raum erkunden und mit Utensilien wie Tierknochen oder einer Schreibmaschine interagieren. Die Akteure könnten auch mal ignoriert werden. Zudem weisen sie auf einen Darkroom hin, der mit kleinen Gymnastikbällen ausgelegt ist. Hier dürfe man sich „vor zu viel Theater verstecken“.
Die Performancegruppe hastet in Lederhosen wie eine getriebene Herde durch den Raum. Sie benutzt alle Ebenen und Ecken der Bühne. Schnell verliert man sie aus den Augen: Das zwingt, den Sitzplatz aufzugeben, falls man das Stück nicht nur hören möchte. Dieses ist simpel, allerdings wird hier die Fabel nicht nacherzählt sondern es wird szenisch mit ihr gearbeitet.
George Orwell interpretiert darin die Geschichte der Sowjetunion. Die Tiere vertreiben den Bauern, weil ein alter Eber die Vision von einer animalischen Revolution hatte. Wie auch in der Geschichte endet das Ganze in blutiger Grausamkeit, Hierarchie und Lüge.
„All enimals are equal but some are more equal than others“, lautet der Satz, mit dem die Schweine am Ende ihre Herrschaft über den Bauernhof legitimieren. Von Aussagen wie diesen lebt die Performance. Showcase Beat Le Mot verfremden gekonnt den Text. Sie lassen Lücken, kritisieren die Vorlage und benutzen eine Mischung aus Deutsch und Englisch.
Es fällt schwer, nicht an Manager-Sprech zu denken. Das manipuliert die Zuschauer*innen. Sie werden selbst Opfer eines von der Gruppe ausgedachten Systems. Die Inszenierung erschafft einen Sog, dem sich die Zuschauer nur mithilfe von Ignoranz entziehen können. Dafür ist ja der Darkroom da. Ein impulsiver Abschluss der Saison. Florian Meyer
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