kurzfilmfestival heute:
Das Festival ist auf der Zielgeraden angelangt. Fleißig werden Stimmkarten ausgezählt, um die Publikumspreise zu ermitteln. Und die Jurys stecken in Beratung, um sich auf die Preisträger der Wettbewerbe zu einigen. Ob da wieder ein Ausflug zum Fischmarkt vonnöten war, wie vor einigen Jahren geschehen, ist noch ungewiss. Legendär bleibt der Flug des Fisches ins Publikum allemal, und jedes Jahr stellt sich wieder die Frage, was haben die Jurys diesmal in der Plastiktüte?
Die Preisverleihung geht im zeise 1 über die Bühne (19 Uhr), und im Anschluss werden alle ausgezeichneten Filme noch einmal ohne fliegende Fische und geschwätziges Lobgepreise vorgeführt (23 Uhr). Wer die Stacheltierparade noch nicht gesehen hat, bekommt seine letzte Chance. Als im bundesrepublikanischen Tal der Ahnungslosen aufgewachsener Wessi, ist man über die Weitläufigkeit des Geheges Systemkritik überrascht, in dem die Stacheltiere rumturnen konnten. Dass Verteilungsprobleme karikiert werden, ist da noch das Geringste. Doch wie Bürokratismus und sozialistischer Realismus dem Spotte preisgegeben werden, ist schon erstaunlich. Eine Liebesgeschichte zeigt einen Autor, dem angeraten wird, seine klassische Romanze mit Aspekten wie Jugend, Kollektiv und Rolle der Frau anzureichern. Was da dann herauskommt, ist ein Hammer der Größe, wie ihn der Stahlkocher im Arm trägt. In einer an ironischem Pathos nicht zu überbietenden Szene verehrt der junge Mann seiner angebeteten Traktoristin liebevoll ein Stückchen frisch gegossenen Stahls (STP 1, Metropolis, 17.30 Uhr).
Die Stacheltierparade 2 mit Satiren aus den 60ern weist nicht die formale und inhaltliche Geschlossenheit der 50er-Jahre-Satiren auf, hat aber Kostbarkeiten zu bieten, die nicht versäumt werden sollten. Was darf‘s denn sein? pickt sich Werbespots aus dem Westen heraus. Angereichert mit Karikaturen von Politikern wie Franz Josef Strauß oder Willy Brandt sind das bitterböse Seitenhiebe gegen den kapitalistischen Nachbarn.
Unbestrittener Höhepunkt sind aber die im herkömmlichen Sinne unpolitischen Episoden auf Rädern. Küsse im Kreisverkehr alarmieren die Schutzengel (Tänzerinnen des Berliner Metropol-Theaters). Die himmlische Eingreiftruppe im Sci-Fi-Augenweiden-Design, eine Art Raumpatrouille Orion in Ost, bewahrt vor den Folgen verantwortungslosen Fahrens. Großartig. Und Manfred Krug und Angelica Domröse in der modernen Hase-und-Igel-Variante – was für ein ein Kracher! (STP 2, Metropolis, 20 Uhr). TIM GALLWITZ
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