kunstraum: Zu dieser Zeit
Dass es sich bei dem leckeren Kuchen in der Vitrine des Cafés im Palais Populaire um ein Kunstprojekt handelt, würde man nicht unbedingt vermuten. Doch das Gebäck, das ein traditionelles Rezept mit Zutaten aus verschiedenen Kulturen neu interpretiert, ist eine Idee von Ayşe Erkmen aus dem Jahr 2003. Sie wird nun im Rahmen der Ausstellung „It’s Just a Matter of Time“, die Werke aus der Sammlung Deutsche Bank mit ausgewählten Leihgaben aus anderen Sammlungen in einen Dialog setzt, sozusagen wieder aufgeführt wird.
Wie der von Felix Gonzales-Torres übernommene Titel schon andeutet, wollen die Kuratorinnen Liberty Adrien und Carina Bukuts mit den von ihnen ausgewählten rund 30 Positionen eine Zeitreise von 1946 bis heute unternehmen und dabei auch den Ausstellungsort berücksichtigen. Ayşe Erkmens Kuchen erinnert an die Zeit, als die ursprüngliche königliche Residenz nach dem Zweiten Weltkrieg als Operncafé wiederentstand, als ein beliebter Treffpunkt der queeren Community in der DDR – mit einer Disco im Keller, woran Manfred Pauls Schwarz-Weiß-Porträt der Operncafé-Clubberin Dany von 1984 erinnert. Zu dieser Zeit beginnt die internationale Aids-Krise, für die die hellblauen transparenten Vorhänge im Ausstellungsraum stehen. Felix Gonzales-Torres hatte einst die Fenster der Andrea Rosen Gallery damit verhängt.
Die Aids-Krise ist weitgehend überwunden, nicht aber der Autoritarismus: Shilpa Guptahat in vier vom sanftem Glühbirnenschein erleuchtete Holzregale die goldenen Abgüsse von Büchern platziert, graviert mit Zitaten aus den Werken und den Namen der Autor:innen. An ihre Zensur, Verbannung, Inhaftierung und Hinrichtung durch ganz unterschiedliche Regime in ganz unterschiedlichen Ländern will die Künstlerin erinnern und natürlich denkt man an den unterirdischen Raum auf dem nahen Bebelplatz mit seinen leeren Bücherregalen, mit dem der israelische Bildhauer Micha Ullmanan die Bücherverbrennung der Nazis am 10. Mai 1933 erinnert. Auch die anderen Arbeiten machen klar: Es sind zu jeder Zeit Kunstwerke zu finden, die Zeitgeschichte auf interessante, erhellende und auch verstörende Weise berühren, ohne im Zeitbezug aufzugehen.Brigitte Werneburg
It’s Just a Matter of Time. Sammlung Deutsche Bank im Dialog, PalaisPopulaire, bis 18. 8., tgl. außer Di. 11–18 Uhr, Do. 11–19 Uhr; 5/3 €, bis 18 J. frei; Mo. Eintritt frei; 2. 5., 16–17.30 Uhr (mit Anmeldung): Kuratorinnenführung mit Liberty Adrien und Carina Buktus
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