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kuhlbrodt berichtetUnd dann war occasionally der Wodka alle und die U 8 weg

Gelebte Alltagspoesie und, ja, Sentimentalität

So ein Pech aber auch. Mit dem Teddy Award wird es nichts rechtes. Jedenfalls nichts Exklusives. Glaubt man den Panaroma-Botschaften, lebt man die Freuden und Leiden des Gayseins unter Heten aus, und die warten nur darauf. Aber: Einen Hetenteddy-Award, gibt’s den überhaupt? Und kriegt denjetzt „The Fluffer“? Das ist zwar ein ziemliches B-Movie – erst mann-männliches Liebeswerben im Pornobusiness, dann Road Movie, zum Schluss Off-Sinniererei – aber immerhin ist der hübsche Boy hinter dem Heteropornostar her, und wenn wer wen im Bett beklaut, dann der Hetero-Heman den jungen Gay und nicht etwa umgekehrt.

„Chop Suey“ stellt die These von Bleib-an-deinem-Platz-und-entfalte-dich-dortselbst explizit auf. Der legendäre Fotograf Bruce Weber richtet leckere Archives Footage von male and female nudes zu einem Festmenü der Körper an. Die sexuelle Fixierung löst sich wie von selbst. Das wäre alles schön und gut, wenn da nicht diese stressige US-Dokumentationsmethode wäre. Wer hat bloß dieses Dogma aufgestellt, dass kein Bild stehen bleiben darf? Jede Performance wird nach drei Takten unterbrochen; mindestens legt sich im Off sofort eine schwer labernde Moderatorenstimme drauf. Ein Selbstvernichtungssystem. „Chop Suey“ entleert sich beim Zuschauen von selbst. Als hätte man die Löschtaste gedrückt.

Doof auch, dass der Hochglanzfotografenfilm nur per Videobeam zu sehen war; die Kopieranstalt hatte die Panoramakopie versaut. Ich hätte den Film am liebsten auf DVD gehabt. Immer wieder anhalten, um überhaupt, bitte, nur ein einziges Bild ungehetzt zu sehen.

Richtig tragisch aber war die – Panne? die Geheimdienstsabotage?? der Projektion des iranischen Films „Der Geruch des Kampfers, der Duft von Jasmin“. Das war ein Sturz von himmelhoch jauzend zu zu Tode betrübt: 25 Jahre warten zu müssen, im eigenen Land schikaniert und beschissen, und auf der Berlinale, in der Stunde des Triumphs, vertauscht jemand (wer?) die Kopien. Abbruch der Veranstaltung. Depression.

Um mich zu euphorisieren, war mir weder der Titel noch die Fünfstundenprojektionsdauer vom Mekas-Film „As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses Of Beauty“ zu lang. Ich muss das Forum lieben, mir das geboten zu haben: ein stressfreies, wohliges Bad in der Bolex-Footage der Siebziger- und Achtzigerjahre. Mehr noch, und jetzt wird’s echt peinlich: im Kino gewesen und geheult. Bloß weil’s schön und ich glücklich war. Das gibt’s also: gelebte Alltagsposie und, ja, Sentimentalität. In all den Verwacklungen, Unschärfen, Fragmenten. Wie war das noch? Statt der drei Ws der Nachrichtenredaktion (wann, wo, wer) gelten bei Jonas Mekas die drei As der Kultur: autobiografisch, anekdotisch, assoziativ. Ende 1999 hatte ich ihn in Soho besucht. Er war grade dabei, die Tonspur zu seinem Film anzulegen („I am not a filmmaker, I am filming“). Von den Bildern sah ich nichts, denn „nichts passiert in meinem Film. Ich hab keinen Plan. Ich nehme auf, was ich im Moment sehe, höre, fühle.“ Wir schwiegen dann eine Weile. Auch tranken wir das Glas Rotwein. Mekas wird nächstes Jahr 80.

Ich bin ein komplettes Jahrzehnt jünger. Und warum fange ich nicht selbst an, Erinnerungen aufzuschreiben? Die muss man ab und zu sichern. Nach verlässlichen Angaben des sachverständigen Karl-Heinz „Carlo“ Roth sterben die Nervenzellen, die das Gedächtnis speisen, alle sieben bis acht Jahre ab. Dann muss rechtzeitig Datei/Sichern geklickt werden.

Jörg Sundermeier traf ich nach dem Mekasfilm am Hermannplatz. Er schenkte mir den neuen Band von Stefan Wirner („Berlin Harcore“), und im Verbrecher Verlag machten wir es in derselben Nacht ab, dass ich nach der Methode der drei As autobiografische Anekdoten assoziiere, 200.000 Zeichen moving ahead, dann war occasionally der Wodka alle und die letzte U 8 weg.

Jetzt muss sie rauskommen, die Obsession. Der Moment ist richtig, eine Woche Festspiele sind um. Zeit für mein kleines privates Bergfest. Heute (für Sie, liebe Leser, gestern). Vorher gehe ich noch ins Florian, den lieben dicken Peter Kern („Ein fetter Film“) zum Geburtstag gratulieren. Und dann? Am Freitag im Berlinale-Palast Kerns kurzen Obdachlosenfilm angucken natürlich; „Fifty-fifty“ ist delikat platziert vor „My Sweet Home“.

DIETRICH KUHLBRODT

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