kucken sie mal: auf bremens leinwänden: 15 Stunden Kino: Der „Ring des Nibelungen“
In Bayreuth ist wieder Festspielzeit und die Wagnerianer sind neidisch auf jene happy few, die sich Karten ergattern konnten. Elitärer kann man Hochkultur wohl kaum zelebrieren als dort, und das gemeine Bildungsbürgertum sammelt nur die Brosamen in kurzen TV-Berichten und Kritiken.
Doch die moderne Kinotechnik macht nun einen virtuellen Bayreuthbesuch in einem Filmtheater ihrer Heimatstadt möglich. In den digital umgerüsteten Kinos (in Bremen sind dies das Atlantis und die Schauburg) können in beachtlicher Bild- und Tonqualität neben Filmen auch Konzerte, Theaterstücke und eben Opern projiziert werden. Diese könnten sogar live übertragen werden, und es hat schon einige globale Konzerte gegeben, bei denen etwa ein digitaler Auftritt von David Bowie gleichzeitig in die USA, Europa und Asien übertragen wurde. Es ist also gut möglich, dass eine in Bayreuth aufgeführte Oper in einigen Jahren direkt von Premierengästen in aller Welt erlebt werden kann.
Ein erster Schritt in diese Richtung wird an den nächsten vier Sonntagen im Atlantis getan, denn dort wird in jeweils einer Vorstellung der gesamte „Ring des Nibelungen“ gezeigt. Das sind über 15 Stunden Kino, die als Filmrollen eine ganze Wagenladung Zelluloid ausgemacht hätten, und nun auf ein paar Festplatten mit der Post angeliefert werden. Und einen kleinen Vorteil haben die Kinobesucher jetzt den Festivalgästen gegenüber, denn während diese sich mehr oder weniger gelungene Inszenierungen eines eher durchschnittlichen Jahrgangs ansehen müssen, können jene den legendären „Jahrhundertring“ von Patrice Chéreau erleben. Diese zuerst sehr umstrittene Inszenierung aus dem Jahr 1976 wurde bei ihrer letzten Wiederaufführung 1980 von einem Team des bayrischen Rundfunks unter der sehr sorgfältigen Bildregie von Brian Large gefilmt.
Patrice Chéreau wurde später als Filmregisseur bekannt und 2001 in Berlin für „Intimacy“ mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Den Ring in Bayreuth inszenierte er 1976 als junger Wilder provokativ aber auch schon sehr filmisch. In der ersten Einstellung von „Das Rheingold“ sieht man etwa die Rheintöchter, die sich auf einem Staudamm räkeln. Ein überraschendes, zugleich imposantes und komisches Bild, mit dem der Regisseur gleich den Kern seiner Interpretation von Wagners Opernzyklus offenbart. Indem er das Bühnenbild und die Kostüme konsequent im 19. Jahrhundert ansiedelt, deutet er Wagners Ring als einen Mythos des industriellen Zeitalters. Die Götterfamilie Wotans trägt die Zierhemden und Mieder einer dekadenten Aristokratie, die Nibelungen sind ein Arbeiterheer in Lumpen, das von Alberich ausgebeutet wird, der Götterhort Walhalla eine Villa der Gründerzeit, die nicht zufällig an das Bayreuther Opernhaus erinnert. Solche politischen und ironischen Bezüge empörten damals die konservativen Wagnerianer, die wohl längst verdrängt hatten, dass sich Wagner in Paris immerhin vom Anarchisten Bakunin zu seiner „Götterdämmerung“ inspirieren ließ.
Der Skandal von damals ist heute kaum noch nachvollziehbar. Zeitlos wirken dagegen die sehr subtile Musik von Pierre Boulez, der damals ebenfalls sehr angefeindet wurde, weil er das Orchester eben nicht ewig wagnerianisch donnern ließ, und die sängerischen Glanzleistungen etwa von Hanna Schwarz als Fricka und Donald McIntyre als Wotan. Vor allem wird hier aber großes Schauspiel geboten, bei dem man gespannt der Handlung folgt, alle Figuren auf der Bühne tatsächlich lebendig werden und man durch gewitzte Regie-Ideen auf hohem Niveau unterhalten wird. So wandeln etwa Fasold und Fafner tatsächlich als Riesen über die Bühne und wenn Alberich sich in den Drachen verwandelt, ist dies eine kleine Parodie von Fritz Langs „Siegfried“. Die 15 Stunden Wagner im Atlantis werden also nicht lang werden. Und weil der Film untertitelt ist, versteht man auch ohne Textbuch, was gesungen wird.
Wilfried Hippen
„Der Ring des Nibelungen“ läuft an den nächsten vier Sonntagen jeweils ab 11 Uhr im Atlantis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen