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kritisch gesehenRetromania ohne Musealisierung

Die US-amerikanische Rockband Cave In spielt in Bremen ihr vor 25 Jahren erschienenes Album „Jupiter“. Das klingt, als könnte es von heute stammen – und zeigt, dass es in Gitarrenmusik kein Vorwärts mehr gibt

Es wäre vor nicht allzu langer Zeit nicht denkbar gewesen, dass Bands Alben aufführen wie Werke. Sonic Youth machten es 2008 vor und spielten „Daydream Nation“ 20 Jahre nach dem Erscheinen komplett. Seitdem klar ist, dass auch Pop-Hörer*innen, die mit Musik von den Rändern aufgewachsen sind, nach Familiengründung und Verbürgerlichung weiter auf Konzerte gehen, haben Wiederaufführungen Konjunktur. Die Musealisierung läuft mit der Alterung des Publikums für Gitarrenmusik.

Am Samstag kam die US-Band Cave In für eins von zwei Deutschlandkonzerten nach Bremen, um ihr vor 25 Jahren erschienenes Album „Jupiter“ aufzuführen. Wenn im fast ohne Ausnahme übervierzigjährigen Publikum jemand nostalgisch geworden ist, lag es nur an der Erinnerung an damals, nicht an der Musik. Mit ihrem zweiten Album ließen Cave In das komplexe Hardcore-Geschrei ihres Debüts „Until Your Heart Stops“ hinter sich und entwickelten eine Mischung aus Breitwandrock, Post-Hardcore-Experimenten und psychedelischem Shoegaze. Das klang damals wie heute: tonnenschwer und zugleich schwebend. Musik, die genauso gut auch 2025 hätte erscheinen können. Was einerseits für Zeitlosigkeit spricht, aber auch zeigt, dass es ein Vorwärts in der Musik, die im Wesentlichen auf Gitarren basiert, schon lange nicht mehr gibt.

25 Jahre sind im Pop eine lange Zeit. Aber ein Vierteljahrhundert hat heute eine andere Dauer als 1990. Zwischen 1955 und 1990 ist nahezu alles passiert: Die zentralen Genres wurden erfunden, seitdem in Verästelungen und Verfeinerungen ausdifferenziert und in Konjunkturen zur Revival-Verwertung ausgegraben. Heute hat sich die Verlaufszeit verlangsamt, bedingt durch fortwährende Wiederholung, ohne grundlegend neue Erfindungen. Der britische Pophistoriker Simon Reynolds hat es – mitteldoll frustriert – „Retromania“ genannt: Alles kommt immer wieder zurück, und die zentrale Richtung im Pop ist nicht mehr das „Vorwärts“, sondern ein „Das war schon“. Ein Befund, der im Politischen mit dem Verlust von Utopien und der Unmöglichkeit zur Veränderung einhergeht.

Das Ausgraben und im Rückblick Neu- oder Wiederentdecken hat aber auch seine Schönheit. Zu finden gibt es Vergessenes wie eben „Jupiter“, ein Album, das beim Wiederhören nach dem Konzert soundtechnisch und vom Songwriting tatsächlich so klingt, als hätte es genauso gut heute erscheinen können. Und es gibt Nischen von einst, in denen viel zu finden ist.

Cave In spielten nicht ohne Grund in Bremen: Die deutsche Vinyl-Pressung erschien damals auf dem Bremer Minilabel Chrome Saint Magnus, neben lokalen Bands wie Systral und Mörser. Der schreibetonte Hardcore war als „Bremen Core“ in Nischen in den entsprechenden Szenen weltweit bekannt, in Europa, Japan und den USA. Der Kontakt zu Cave In kam über das heute noch aktive Hydrahead-Label zustande.

Der schreibetonte Hardcore war als „Bremen Core“ weltweit bekannt

„Jupiter“ war eine ungewöhnliche Veröffentlichung für Chrome Saint Magnus: Melodien, klare Stimmen. Wenig später gingen Cave In dann zu einem Major und wollten eine große Band werden. Das hat, trotz Touren mit den Foo Fighters und Muse, nicht geklappt, und heute veröffentlicht die Band wieder tonnenschwere Musik auf dem Avantgarde-Metal-Label Relapse. Der Weg zum Erfolg beziehungsweise zur Abbiegung kurz davor führte damals über Bremen. Und ausgehend von dem ungebrochen wuchtigen „Jupiter“ im Ohr kann man sich noch einmal quer durch die Geschichte des Bremen Core hören. Zu finden sind einige der schönsten Krachmomente der DIY-Kultur der Neunziger. Retromania an der Weser, aber musealisiert wurde bislang an dieser Stelle zum Glück nichts. Benjamin Moldenhauer

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