kritisch gesehen: Sprechblasen aufs Stichwort
Das Label Graphic Novel ist in der Bücherwelt höchst erfolgreich: So etikettierte Werke gelten als die edel-ernst-anspruchsvollen Roman-Pendants – zu unterscheiden von angeblich schmuddelig-trivialen Comics. Folgerichtig, dass gern Literaturklassiker visualisiert werden. Das Staatstheater Oldenburg dreht die Verwertungsfolge nun für die Theaterwelt um und bringt einen dramatischen Stoff mithilfe von Graphic-Novel-Designern auf die Bühne: Schillers „Maria Stuart“.
Der Plot wird als Bildergeschichte in zugespitzten Situationen bestens nachvollziehbar erzählt. So wie Graphic Novels atmosphärisch gern düster daherkommen, ist auch Kevin Barz’Inszenierung vornehmlich grau in grau gehalten – das betrifft die Kostüme, das Bühnenbild und die detailreichen Schwarz-Weiß-Illustrationen von Jan Falkenberg, aber auch die Schauspielkunst des Gruselschocker-Typen-Personals. Die vornehme Finsternis passt prima zu Schillers Schauermärchen der Megären, Schranzen und Lemuren. Aber sie verschattet auch viele der politischen, religiösen und erotischen Bedeutungsebenen zu einem fahlen Gesamteindruck.
Vier Bilderrahmen sind als Spielkästchen für das Macht-, Intrigen- und Liebeshassspiel aufgebaut. Ob Sprachduell oder Monolog: Zumeist treten die Schauspielenden in den Rahmen, erstarren frontal zum Publikum, liefern Haltungen ab statt lebendiger Gesten und artikulieren Sprechblasen aufs Stichwort; als Gefangene des Formalismus. Furor, Würde, Weisheit: Sie brausen und pulsen einfach nicht. Jeder halbwegs gelungene Comic hat mehr Tempo, mehr Dynamik in den Bilderfolgen als diese Aufführung in ihren Szenenfolgen.
Nur einmal interagieren Zeichnungen und Inszenierung effektvoll: Wenn sich der liebes- und hirnwütige Mortimer in die Luft bombt. Als sich Elisabeth I. (Helen Wendt) schließlich vor Zorn und Trauer der Etikette sowie des Königsornats entledigt und mit ihrem Hochmut in die Vereinsamung schreitet, verblassen die Zeichnungen auf der Bühne. Plötzlich ist auch psychologisch vitales Schauspiel zu erleben, bei dem sogar Komikmomente zugelassen sind. Aber eben nur Momente – an diesem sinnfrei zu Tode ästhetisierten Abend. Jens Fischer
Nächste Vorstellungen: 11., 12., 19. + 20. 11., jeweils 19 Uhr, Oldenburg, Kleines Haus
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