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kritisch gesehen: „draußen feiern die leute“ am theater bremenAngst vor der Magie

Schön fängt es an. Im Halbdunkel zieht ein Mähroboter seine Bahnen. Und zu Beginn der Schauspiel-Adaption von Sven Pfizenmaiers Roman „Draußen feiern die Leute“ flimmern auf einer Leinwand über der noch nicht ausgeleuchteten Bühne die Bilder einer von routinierter Sorge getragenen Regional-TV-Reportage. Sie handelt von der Suche nach der verschwundenen Flora.

Diese Jugendliche stammt aus einem Dorf im ostniedersächsischen Nirgendwo, es könnte sich um Uetze handeln, der Name des Ortes der Handlung wird nicht erwähnt. Sie soll vorher oft in Hannover gewesen sein. Und der Heimatfernsehsender „H1“ geht mit dem so beliebten wie journalistisch schwachsinnigen Mittel der Straßenumfrage der Frage nach, ob unter solchen Bedingungen, nach dem Verschwinden einer Person, das jährliche Zwiebelfest überhaupt stattfinden kann, und wenn ja, wie es sich dann wohl anfühlen wird.

So viel zum Prolog. Dann verschwindet die Leinwand, Scheinwerfer erhellen den von Carolin Pflüger geschaffenen, kreisrunden, allerdings pinken Rasenplatz, der mit einem vergitterten Betonnabel in der Mitte möbliert ist, vielleicht ist es ein Brunnen. Der dreht sich so lange, bis die auf seinem Efeu-berankten Rand abhängende vierköpfige Dorfjugend frontal ins Publikum schaut.

Schauspiel „Draußen feiern die Leute“, Theater Bremen. Wieder am Fr, 7. 2. (zzt. ausverkauft, es gibt eine Warteliste); So, 23. 2.; Mi, 26. 2., (zzt. ausverkauft); Sa, 1. 3.; Mi, 12. 3., ; Do, 13. 3.

Die spricht meist aneinander vorbei, je von ihrer Verlorenheit: Timo, der sich fühlt, und den Jan Grosfeld auch gaksig und so schön ungelenk spielt, wie eine Pflanze, hält sich für ekelhaft. Als Valerie, von der es heißt, sie schlafe bis zu zehn Tage am Stück, schaut Sofia Iordanskayaso somnambul verstört, als wäre es Montagmorgen und der Wecker hätte eine halbe Stunde zu früh geklingelt. Levin Hofmann spielt Richard, der dealt und aus der Not heraus kifft.

Das klopfende und dröhnende Herz dieser eher lethargischen Gruppe aber ist Jenny, fabelhaft energetisch von Jorid Lukaczik verkörpert. Jenny ist die Person, die zwischendurch das Schlagzeug der Band spielt, die das Zwiebelfest rockt. Und Jenny macht sich eben auf die Suche nach Flora, sogar im gefährlichen Hannover. Gerade dieser Drang, loszuziehen, den engen Kreis zu sprengen, ist das, was alles zusammenhält.

Der Roman, der das erzählt, Pfizenmaiers Erstling, hätte einer der vielen Aufwachsen-in-der-Provinz-schlimme-Sache-Texte werden können, die Leute gern zur Selbstvergewisserung lesen, die aus der Provinz in die nächste große Stadt gezogen sind. Ist er aber nicht, weil das Buch immer wieder aufs Wirklichkeitsgrau der trübseligen inneren Monologe – die in Bremen von den Ak­teu­r*in­nen in dritter Person Singular statt in Figurenrede vorgetragen, blass bleiben – schrille Farbtupfer des Grotesken und Fantastischen aufträgt: Der pinke Rasen erinnert in der Inszenierung von Viktor Lamert daran. Auch soll der bizarre Charakterzug Richards, durch bloße Präsenz seiner Umgebung die Energie auszusaugen, aufgegriffen werden: In einer Szene wird das Licht bei seinem Nahen gedimmt – beziehungsweise hochgefahren, sobald er sich rückwärts bewegt. Das kommt bestenfalls eher so geht so rüber; nicht weil es zu platt wäre, sondern weil es Beleuchter Daniel Thaden technisch nicht ganz glückt.

Die vierköpfige Dorfjugend, auf efeu-beranktem Beton abhängend, spricht meist aneinander vorbei

Trotzdem wäre es besser gewesen, die Brüche im Realitätskontinuum auszuführen. Auf der Bühne entfaltet sich Magie nicht, wenn sie nur in aufgesagter Prosa behauptet wird. Und den dämonischen, von Pfizenmaier offenbar direkt aus Hugo Pratts südseebesegelnden „Corto Maltese“-Comics in die norddeutsche Tiefebene verpflanzten Rasputin im Dialog am Brunnen überdreht zu beschwören, dann aber nicht auftreten zu lassen – als Körper, als Erscheinung oder als Enttäuschung – wirkt mutlos. In Erinnerung bleiben ein paar schöne, ziellos tastende Dialoge. Benno Schirrmeister

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