piwik no script img

kritik: Radek Krolczyk über Marikke Heinz-Hoeks Ausstellung „Linkepoot“ in der WeserburgEchte Fiktion, fiktionale Biografie

Biografische Fiktionalität oder fiktionale Biografien – das sind künstlerische Strategien, die Marikke Heinz-Hoek in ihren Fotografien und Künstlerbüchern verfolgt, die derzeit in der Weserburg im Studienzentrum für Künstlerpublikationen zu sehen sind. Es geht also um das Erzählen von Geschichten, die sowohl auf wirklichem biografischen Material beruhen, die aber in ihrer Form erfunden sind. Ein Verhältnis übrigens, das jedem, auch dem ernstgemeintesten persönlichen Narrativ zugrunde liegt.

„Linkepoot“ ist der Titel der Ausstellung und zugleich auch eines ihrer Bücher, das sie 2011 in einer Auflage von lediglich zehn Exemplaren veröffentlichte. Die Bedeutung des plattdeutschen Wortes ist „Linkshänder“. Die 1944 geborene Heinz-Hoek bevorzugte im Kindesalter ihre linke Hand, die Pädagogik der frühen Bundesrepublik trainierte ihr das ab. In diesem Buch hat die Künstlerin einige ihrer Kindheitsgeschichten mit links aufgeschrieben. Die etwas unbeholfen wirkende Schrift der heutigen Rechtshänderin erinnert an eine Kinderschrift. So schließt sich der Kreis: Auf der Grundlage wirklicher Umstände entsteht schließlich eine erfundene Identität. Marikke Heinz-Hoek kam zu Beginn der 60er-Jahre nach Bremen und studierte an der Hochschule für Künste. Ihre Video- und Fotoarbeiten stellte sie international aus – in Budapest, Moskau und New York. In den 90er-Jahren fiel sie durch ihre Videomultiples auf: kleine Fernsehmonitore, auf denen Aufnahmen karger ostfriesischer Landschaften flimmern. In den späten 90er-Jahren beschäftigte sie sich mit der Legendenbildung um Filmstars wie Marilyn Monroe, um die sie selbst die Legende eines Tagestrips nach Bremen sponn. Heinz-Hoek montierte aus verschiedenen Aufnahmen einen Film, der Monroe in Bremen zeigt. Die Arbeit befindet sich in der Sammlung der Bremer Kunsthalle.

Wie Filmstars wirken die Personen, die sie 1996 bei einem missglückten Bremer Filmfest fotografierte. Dieser Schein hat Gründe: Den Bildern liegt eine ganze Reihe Zwischenschritte zugrunde: Die ersten Abzüge wurden abgefilmt und die Fernsehbilder erneut fotografiert. Auch die Form, in der die Künstlerin sie schließlich veröffentlichte, ein Postkartenheft, legt den Gedanken an Filmstars nahe. Als Postkartensets publizierte sie auch eigene Kinder- und Jugendfotografien. Im persönlichen Fotoalbum erzählen solche Fotos eine zufällige und irrelevante Geschichte, publiziert als Postkarten werden dieselben Aufnahmen gesellschaftlich und man beginnt, nach der Geschichte dahinter zu fragen.

Besonders seltsam wirken die unikalen Bücher „Die ungereisten Reisen“ von 2013. Da Heinz-Hoek das Reisen hasst, fährt ihr Mann etwa zu Ausstellungen, bei denen ihre Arbeiten gezeigt werden. Basierend auf Postkartenmotiven und seinen Erzählungen zeichnet sie Landschaften, die sie nie selbst gesehen hat. Deutlich aber fließt in jede dieser Darstellungen ein wichtiges biografisches Moment: die flache, karge plattdeutsche Landschaft.

Bis 4. Juni, Studienzentrum für Künstlerpubl., Weserburg

Der Autor ist Betreiber der Galerie K‘

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen