kommentar: Liquidationen wie bei der Mafia
Israel wird den Zermürbungskrieg nicht gewinnen
Der israelische Generalstabschef ist stolz. Der Nachrichtendienst wusste genau, wann Dschamal Mansur das Hamas-Büro in Nablus betreten würde. Im richtigen Augenblick schlugen die Raketen in die Wohnung im dritten Stock des Mietshauses. Mansur und fünf Kollegen kamen um. Auch zwei Kinder, die auf der Straße auf ihren Vater warteten, wurden getötet.
Auf der palästinensischen Seite sieht das ganz anders aus. Mansur war ein hochangesehener Führer der Hamas-Bewegung, eine fundamentalistische politische Partei mit vielen sozialen Einrichtungen und einem offiziell unabhängigen militärischen Flügel. Mansur gehörte zur politischen Führung, er wurde in einem allgemein bekannten Parteibüro umgebracht. Die Geheimdienste und die Armee Israels haben schon eine große Anzahl von Intifada-Aktivisten in gezielten Anschlägen getötet. Dies ist aber das erste Mal, dass ein hochrangiger politischer Führer getötet wurde. Eine neue Phase im Teufelskreis der Gewalt, im Verteidigungskrieg gegen den palästinensischen Terrorismus, im Befreiungskrieg gegen die israelische Besatzung.
Moralische Fragen bleiben unbeachtet: Darf ein moderner Staat sich wie eine Mafia benehmen, Leute ohne Gericht hinrichten, auf Beschluss von Geheimdienstlern die niemandem wirklich Rechenschaft schulden? Auch das hebräische Wort, das dafür gebraucht wird – liquidieren – stammt aus dem Wortschatz der Mafia. Aber auch die praktischen Folgen werden beinahe ignoriert. Werden solche Anschläge wirklich die Gewalt dämmen, oder werden sie das Gegenteil bewirken?
Generalstabschef Schaul Mofaz möchte noch viel mehr: vielleicht auch Arafat umbringen. Vorläufig erlaubten die Amerikaner das nicht. Die Bush-Regierung, in der die Erdölinteressen stark vertreten sind, will die Saudis nicht provozieren – das Geld für die Wohltaten der Hamas kommt schließlich aus Riad.
Wie wird das weitergehen? Es ist ein Zermürbungskrieg mit einer automatischen Eskalation, und jede Seite hofft, dass die andere zuerst zusammenbrechen wird. Da die Palästinenser um ihre nationale Existenz kämpfen, für Israel dieser Krieg aber ein Luxus ist, werden die Palästinenser wohl nicht kapitulieren. Nach viel weiterem Blutvergießen werden die beiden Seiten wieder über Frieden reden müssen. URI AVNERY
Der Autor war Abgeordneter im israelischen Parlament und lebt als Publizist in Tel Aviv.ausland SEITE 10
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