kommentar: Nachhaltig enttäuschend: Rot-Grün sucht eine Vision
Wenn die rot-grüne Regierung am 22. September nicht wiedergewählt wird, dann liegt das daran, dass ihr das Megathema fehlt. Tatsächlich weiß niemand, was Schröder, Fischer & Co. in den nächsten vier Jahren vorhaben. Es mangelt an einer utopischen Idee für das, was einst das „rot-grüne Projekt“ genannt wurde. Dabei ist durchaus ein Anliegen vorhanden: Umweltminister Jürgen Trittin hat es gestern im Bundestag als das Streben nach „globaler Gerechtigkeit“ definiert.
Dieser Begriff umfasst vieles, was aber kein Problem sein muss. Das Streben nach globaler Gerechtigkeit spiegelt das Bemühen, die Balance zwischen den sozialen Schichten im eigenen Land ebenso zu bewahren, wie die krassen Entwicklungsunterschiede zwischen reichen und armen Staaten zu verringern. Das ermöglicht eine Neudefinition von Chancengleichheit in der globalen Wissensökonomie und beinhaltet zugleich die Sorge um den Schutz der Umwelt. Das Konzept einer globalen Gerechtigkeit könnte durchaus ein überzeugendes Regierungsprogramm für mehrere Legislaturperioden abgeben. So etwas schwebte Hans Martin Bury, dem Vertrauten von Bundeskanzler Gerhard Schröder, wohl auch vor, als er sich daranmachte, eine derartige Gesamtstrategie zu entwerfen. Trotzdem funktioniert die Idee nicht.
Das liegt zum einen daran, dass die rot-grüne Utopie unter dem Technokraten-Terminus „Nachhaltigkeitsstrategie“ verschüttet liegt. Einen solchen Begriff wählt nur, wer erreichen will, dass ihm niemand zuhört. Oder anders ausgedrückt: Hier wird eine gute Idee grottenschlecht verkauft.
Zum anderen – und das ist der wichtigere Punkt – nehmen viele dieser Regierung nicht ab, dass ihr soziale Gerechtigkeit ein wirkliches Herzensanliegen ist. Wenn Konzerne wie die Deutsche Bank ihre Milliardengewinne nicht mehr versteuern müssen, kann von Gerechtigkeit keine Rede sein.
Wenn SPD-Bundesfinanzminister Hans Eichel ein Gesetz ausarbeitet, das Aktienverkäufe von Unternehmen komplett von der Steuer befreit, beschleichen die Wähler Zweifel, auf wessen Seite führende Sozialdemokraten eigentlich stehen. Und wenn Eichel den Vorschlag seiner eigenen Fraktion ablehnt, von profitablen Firmen wenigstens eine Mindeststeuer zu erheben, drängt sich der Eindruck auf, dass die Nachhaltigkeitsstrategie bloß dazu dient, die schlechte Wirklichkeit zu kaschieren.
Modernisierung und Gerechtigkeit, Marktwirtschaft und sozialer Ausgleich gehören zusammen. Wenn die rot-grüne Regierung eine Wahlkampfvision entwickeln will, die zieht, muss sie beide Pole ins Gleichgewicht bringen. HANNES KOCH
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