kommentar von Ulrich Schulteüber das grüne Wahlkampfprogramm: Kraftvoll zubeißen
Die erste gute Nachricht ist: Den Grünen ist, allen Abgesängen zum Trotz, die Kampfeslust nicht abhanden gekommen. Die Ökopartei hat auf ihrem Parteitag ein feines Programm beschlossen, das, würde es Wirklichkeit, die Gesellschaft zum Guten veränderte. Die zweite: Die Spitzenleute Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt haben verstanden, dass es Biss und Angriffslust braucht, um die 7-Prozent-Partei aus ihrer Stagnation zu reißen.
Was bei der Ökopartei seit Monaten auffällt, ist eine Kluft zwischen dem Programm und der öffentlichen Kommunikation, die durch die beiden Spitzenkandidaten geprägt wird. Das Programm ist nach wie vor progressiv und ambitioniert, es will verändern. Würde man das von Göring-Eckardt und Özdemir sagen? Man weiß es nicht genau. Beide wollen unbedingt mitregieren, in welcher Koalition auch immer, das ist klar. Aber besitzen sie die stählerne Härte, um Relevantes gegen die ausgebufften Vollprofis um Merkel herauszuholen?
Auf dem Parteitag präsentierten sie sich angriffslustig und nahmen auffällig oft die Kanzlerin ins Visier. Dafür ist es höchste Zeit. Göring-Eckardt und Özdemir agierten in den vergangenen Monaten handzahm. Das liegt zum Teil an charakterlichen Dispositionen, Göring-Eckardt pflegt eben eher einen diplomatischen Sound. Vor allem aber ging darum, die grüne Braut für die bürgerliche Hochzeit aufzuhübschen. Ein solcher Widerspruch zwischen Programm und Auftritt kann auf Dauer nicht funktionieren. Für freundlich-harmlose Unbestimmtheit ist die Gesellschaft zu polarisiert.
Der Parteitag hat den beiden Spitzen nun gute Vorlagen geliefert. Für die Ehe für alle ist es höchste Zeit. Für eine neue Europapolitik ebenfalls. Beim Kohleausstieg haben sie der Versuchung widerstanden, sich einen symbolträchtigen Wettbewerb um Jahreszahlen zu liefern. Die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke in der nächsten Legislatur abschalten, den Komplettausstieg bis 2030 – damit würde Deutschland die Pariser Klimaschutzziele einhalten. Diese Ziele hat die Möchtegern-Klimakanzlerin unterschrieben, aber unfassbar wenig getan.
Wenn man so will, hat die grüne Basis ihrer Spitze die Munition in die Hand gedrückt. Jetzt liegt es an Göring-Eckardt und Özdemir. Drei Monate sind eine kurze Zeit, um eine Dynamik noch zu drehen.
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