kommentar von Andreas Wyputta: Der Denkzettel
Nach der Kommunalwahl will Detlef Tanke, Generalsekretär der niedersächsischen SPD, erst einmal nachdenken. Seine Sozialdemokraten müssten analysieren, sagt er, ob und warum Teile des klassischen SPD-Stammwähler-Potentials aus Unter- und unterer Mittelschicht zur AfD überlaufen – also ausgerechnet zu einer Partei, die über Abstiegsängste Fremdenhass schürt, selbst aber nur massiven Sozialabbau etwa durch Privatisierung der Arbeitslosenversicherung im Programm hat.
Denn gepunktet haben die Rechtspopulisten im strukturschwachen Südosten Niedersachsens und in Arbeiterhochburgen: In Wolfsburg kam die AfD auf 10,5 Prozent. Und nirgendwo konnte sie mehr Stimmen einsammeln als in Delmenhorst, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und jedes dritte Kind in Armut lebt. Mehr als 15 Prozent der WählerInnen haben die Neurechten dort aus dem Stand zur drittstärksten Fraktion im Stadtrat gemacht – bei Verzweifelten kommt die AfD-Strategie, noch Schwächere als Sündenbock zu präsentieren, offensichtlich an.
Nachdenken sollten aber auch CDU und Grüne. Mögen sich deren Milieus, etwa im katholischen Emsland, im großstädtischen Hannover oder im universitären Göttingen, noch resistent gegen die rechte Propaganda erweisen: Vielerorts hat die AfD aufgerufen, die Kommunalwahl zu einem „Denkzettel“ für alle im Landtag etablierten Parteien zu machen – und tatsächlich haben auch Christdemokraten und Grüne Verluste um drei Prozent hinnehmen müssen, wie die SPD auch.
Mit der um drei Punkte auf 55,5 Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung allein, also einer Mobilisierung von Nichtwählern durch die Rechtspopulisten, lässt sich das nicht erklären – schließlich ist die AfD bei der Kommunalwahl nicht einmal landesweit angetreten. Stattdessen scheinen die Neurechten auch in Niedersachsen bei WählerInnen zu punkten, die sich abgehängt und auf der Verliererseite sehen – und sollte die aktuell glänzend laufende Konjunktur stottern, können das ganz schnell auch ehemalige Unterstützer von CDU und Grünen sein.
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