kölsch-krächzer niedecken spielt für die handwerkskammern: Alte Männer – aalglatt
Handwerk hat goldenen Boden, und Morgenstund’ hat Gold im Mund. Das passt, muss sich Kölsch-Krächzer Wolfgang Niedecken gedacht haben und spielt am Donnerstag mit seiner Band Bap umsonst und draußen auf dem Gendarmenmarkt – bei der „Erlebniswelt Handwerk“, zur Hundertjahrsfeier der Handwerkskammern.
Der ehemalige Protestrocker, der schon 1979 den „Alptraum des Opportunisten“ besang, reiht sich damit in eine illustre Programmfolge ein. Zum Auftakt am Mittwoch sprechen Bundespräsident Rau und Regiermeister Diepgen ihre Jubelarien aufs Handwerk. Und am Freitag gibt’s die volkstümliche Musikantenscheune mit Heino. Der hat mit den „Lustigen Holzhackerbuam“ wenigstens fachgerechtes Liedgut im Repertoire.
Niedecken hingegen kann allenfalls auf sein Oberidol Bob Dylan verweisen, der eigentlich Robert Zimmermann hieß. Ansonsten hat er von Technik keine Ahnung, wie er anno dazumal in seiner Liebeshymne an Waschsalons rock ’n’ rollte.
„Klar musste ich auch ab und zu schlucken, aber zum Glück wurde es kein Gang durchs Tränenmeer. Wir haben alles erreicht, was man wohl erreichen konnte. Aber jetzt muss man an der Zukunft arbeiten“, argumentiert Niedecken. Allerdings nicht in Bezug auf die Handwerkerei, sondern auf die rechtzeitige Bandflucht seines Gitarristen vor anderthalb Jahren.
Aber Recht hat der Barde trotzdem: Am Bauzaun von Wackersdorf gespielt, Bonner Großdemos gegen Nachrüstung besungen, Ostermärsche musikalisch unterlegt. Letztes Jahr dann die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien unterstützt. Und weil seitdem alles egal ist, nun eben die Handwerker. Das hat was. Vor allem in Berlin, wo Kölsch inzwischen ziemlich angesagt ist, seit die Regierung ihre Ständige Vertretung hierher verlegt hat.
Das alles erklärt Niedecken seinen Fans dann sicher auch in einer neuen Version seines „Deshalv spill mer he“, das er Mitte der 80er „he“ nicht spielen durfte, weil „he“ – also auch der Gendarmenmarkt – noch DDR war, und da durfte man eben nicht gegen Nachrüstung singen, jedenfalls nicht so, wie der damals noch gegen jeden Hitparaden-Auftritt standfeste Niedecken es in seinem Lied hinter der Mauer zum Vortrag bringen wollte: gegen die bombige Hochrüstung in West und Ost und für die friedensbewegten Handwerker, die Schwerter zu Pflugscharen umschmieden wollten – oder „’ne SS 20 in ’ne Lok“.
Jetzt ist die DDR weg, Handwerk bombig, Niedecken darf endlich singen, was er will – und ein paar mitgealterte Fans werden auch noch zuhören. Die Sitzplätze für das kostenlose Konzert, so meldet die Handwerkskammer, sind schon ausgebucht.
GEREON ASMUTH
bericht SEITE 22
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen