kleiner post-taliban-studienführer: Islam-Experte in drei Jahren
Ohne Peter Scholl-Latour
Die Taliban sind weg aus Kabul – alle Fragen aber bleiben offen: Worin genau besteht eigentlich der viel beschworene Unterschied zwischen Islam und Islamismus? Wieso taugt jemand wie Usama Bin Laden zum Idol? Auf wen oder was beruft er sich? Was wollen islamische Extremisten überhaupt, und woran erkenne ich sie?
Mit einem Buch von Peter Scholl-Latour ist’s nicht getan. Und auch nicht mit dem Reclam-Koran für 18 Mark.
Wer das Phänomen des Islamismus verstehen will, muss die entsprechenden Quellen lesen, am besten im Original. Zum Beispiel die Schriften des Chef-Theoretikers der Muslimbrüder, Sayyid Qutb, der ein Vorbild Bin Ladens ist.
Und um die Grundlagen des Islam zu entdecken, ist die Koran-Lektüre auf Arabisch ein Muss. Außerdem empfehlenswert: Arabische Definitionen von Dschihad und Scharia sowie zeitgenössische Magazinartikel, um die innerislamische Debatte über Islam und Islamismus nachzuvollziehen. Das alles gelingt mit etwas Glück und Fleiß nach drei Jahren Studium der Islamwissenschaften oder Arabistik, etwa in Göttingen, Hamburg, Bochum oder Berlin. Oder an der Londoner School of Oriental and African Studies (SOAS). Für die politischen Verflechtungen im Nahen Osten, Völkerrecht und internationale Beziehungen ist Harvard in den USA ein guter Tipp. Ebenso die London School of Economics. Oder Bassam Tibi in Göttingen hören. Da lernt man gleich noch etwas über Huntington, Zivilisationskonflikte und die amerikanische Perspektive.
Wer die ethnische Vielfalt Afghanistans und die politischen und religiösen Konflikte Irans begreifen will, studiert am besten Iranistik. Spätestens hier wird klar, warum das Regime der Taliban für fast alle Muslime auf der Welt befremdlich ist: Ihre Praxis besteht aus paschtunischem Brauchtum mit einem dünnen islamischen Überzug. Auch Ethnologie-Institute befassen sich oft mit der islamischen Welt, vor allem mit Indonesien.
Wer aber die Wechselwirkungen zwischen Westen und islamischer Welt aus der anderen Perspektive untersuchen möchte, der sollte unbedingt ein paar Semester in Kairo, Beirut oder an der Bir-Zeit-Uni verbringen. Dort erkennt man, was hier nicht zu lernen ist: Wie tief empfunden die eigene Ohnmacht angesichts der amerikanischen Übermacht ist; wie sehr Intellektuelle sich um den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen bemühen; wie unzutreffend es ist, dass jeder Hamas-Anhänger ein Terrorist sein will. YAS
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