kikkerballen: Die Tischgespräche haben an Poesie gewonnen
Mussskelfaserrrrrrisssss
Nichts ist, wie es vorher war, seit König Fußball vor ein paar Tagen in mein Leben trat. Die Blicke meines zehnjährigen Sohnes zum Beispiel, irgendwo zwischen Respekt und Zweifel: Meine Mama schreibt für den Sportteil – ob sich da der Redakteur was bei gedacht hat? Die Tischgespräche haben an Poesie gewonnen. Es geht ums „Rumänenwunder“, um die „goldenen Hände“ eines Torwächters, um Worte Jandlscher Qualität wie Mussskelfaserrrrrrisssss.
Auch beruflich bin ich bereichert worden. Die Frage, wo Europa endet, muss völlig neu entschieden werden. Das wird Konsequenzen für die Beitrittsverhandlungen haben. Seit Montagabend denke ich, wir sollten die Türken zuerst aufnehmen. Noch vor den Slowenen, obwohl die auch ganz nett gespielt haben.
Die Einsicht kam mir, als ich das Spiel Türkei – Belgien in Saint Josse in einer türkischen Kneipe geguckt habe. Sprachprobleme gab es nicht. Im türkischen Fernsehen spielen sie die Stadion-Atmo so laut ein, dass die Worte des Kommentators ohnehin darin versinken. Das hebt die Stimmung ungemein. Mein wilder Tischnachbar, schwarze Locken, von oben bis unten in die rote Fahne mit dem Halbmond gehüllt, sprang nach jedem Tor seinem Kumpel auf die Schultern. Dann kletterte er wieder runter, gab mir die Hand und sagte: Ist doch nur Glück, hat mit Können gar nichts zu tun. Dann spendierte er mir ein Trost-Bier, weil er mich für eine Belgierin hielt. So was nenne ich Stil.
Der Belgier hingegen, der hinter mir saß und schon seit fast fünfzig Jahren EG-Mitglied ist, trat mir bei jeder Torchance seiner Mannschaft auf den Fuß, ohne es auch nur zu merken, und trank sein Bier alleine. So viel zu meinen neuen Einsichten in Demokratie und Zivilisation.
Das Beste wird sein, ich sattle dauerhaft auf Sportberichterstattung um. Kein einziges wirklich anregendes Gespräch habe ich in meinem Leben über die Bananenmarktordnung geführt. Männer neigen bei diesem Stichwort zu ermüdenden Ausführungen über die Welthandelsorganisation und die Gesetze des Binnenmarktes. Auch ich habe unzählige ermüdende Zeilen über das Thema geschrieben. Bananenflanke hingegen – da ist doch Musik drin! Kein störendes o. Kein dunkles u. Und hat dazu auf maulfaule Männer noch belebendere Wirkung als die Abseitsfrage. Bislang konnte ich nur: „Erklär mir doch mal Abseits“, wenn sonst gesprächsmäßig gar nichts mehr voranging. Das hat sich mit den Jahren etwas abgenutzt. Seit einer Woche ist Bananenflanke meine neue Masche. Da springen sie auf, deuten mit der Innenfußkante einen beeindruckenden Schlenzer an, der unter Realbedingungen, von der Ecke aus platziert, zu einer echten Torchance hätte führen müssen, wenn ...
Natürlich werde ich auch im neuen Wirkungskreis Europa und seinen Binnenmarkt nicht völlig aus den Augen verlieren. Gerade Montagmorgen wieder hat EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti die Fifa ernstlich verwarnt. Die soll endlich Schluss machen mit der sklavenhändlerischen Ablösepraxis der Vereine und neue Regeln ausarbeiten, die Spieler aus der Leibeigenschaft befreien. Wenn nicht bald was passiert, wird Monti die Fifa vor den Europäischen Gerichtshof bringen.
Da gehört sie auch hin, schließlich ist Fußball ein durch und durch europäisches Spiel. Die Römer erfanden es, als sie die abgeschlagenen Köpfe ihrer besiegten Feinde übers Schlachtfeld kollerten. Im ersten Jahrhundert nach Christus brachten sie die reizende Sitte nach Britannien, wo sie alsbald begeistert aufgegriffen wurde und bis heute gepflegt wird. Ob allerdings Britannien zu Europa gehört, wird erst nach der nächsten WM entschieden. Sollte England 2002 gegen Deutschland oder Frankreich verlieren, dann tauschen die ihr Pfund niemals gegen Euro ein.
DANIELA WEINGÄRTNER
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