keine wahl in usa: Die Gunst des Gerichts entscheidet
In das Weiße Haus wird zum ersten Mal seit 1888 ein Politiker einziehen, der nicht von der Mehrheit der Amerikaner gewählt wurde – das ist in den USA verfassungsrechtlich möglich. Dass ein Präsident jedoch die Mehrheit im Wahlmännerkollegium nur mit Hilfe eines problematischen Gerichtsurteils erreicht, das hat es noch nie gegeben. Die obersten Richter ebnen George W. Bush den Weg zu einem Sieg, der nie erwiesen sein wird, da die Stimmennachzählung in Florida nun nicht mehr möglich ist. Klar sind jedoch die Verlierer: die Wähler, deren Stimmen nie gezählt wurden und das Oberste Gericht selbst, das seine Rolle als moralische und politische Instanz in der Gesellschaft einbüßen dürfte.
Kommentarvon PETER TAUTFEST
In seinem Urteil schreibt das Gericht fast bedauernd: „Geschichtlich hat der Wähler heute das Recht zu wählen, und in den verschiedenen Bundesstaaten wählen heute die Wähler selbst die Wahlmänner.“ Wenn aber schon gewählt werde, müsse jede Stimme gleich gezählt werden. Das Gericht untersagt die Nachzählaktion, die bei der Prüfung des Wählerwillens unterschiedliche Standards anlegen würde – als bestünde nicht im kunterbunten und fehleranfälligen Wahlsystem Amerikas ein Durcheinander an Standards, das gerade eine Zählung von Hand wenigstens abgemildert hätte. Um der Einhaltung eines Zeitplans willen, der in einem 124 Jahre alten Gesetz vorgeschrieben ist, wird die genaue Ermittlung des Wählerwillens aufgegeben und damit ein demokratisches Grundrecht geopfert. Selbst einer der Richter, Stephen G. Breyer, mahnte: Durch das Eingreifen des Supreme Courts werde kein demokratisches Grundrecht ausgeweitet.
In der Tat liegt es mehr als 20 Jahre zurück, dass Grundrechte vom Obersten Gericht ausgeweitet wurden: Legendär ist noch heute die Entscheidung von 1954, als die Richter einstimmig die Rassentrennung aufhoben – eine Sternstunde des Supreme Court. Seit 20 Jahren aber ist der Supreme Court auf restriktivem Kurs, daran hat auch der frische Windhauch eines Oberlandesgerichtsurteils in Florida nichts geändert, das ein Grundrecht auf das Zählen jeder Stimme postulierte. Dessen Auslegung schmetterte die konservative Mehrheit des Supreme Court ab – und orientierte sich bei seinem Urteil lieber an Verfassungsgrundsätzen, die mit der demokratischen Realität heute nichts mehr zu tun haben. Amerikas Demokratie wird den Schaden haben und Amerikas Stellung als vorbildliche Demokratie auch.
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